Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
Kellerfenster.
»Dieser Scheißkerl!« Manfred stürzte zur Haustür und presste die Hand auf alle Klingeln gleichzeitig. Katrin zog ihr Handy aus der Tasche und informierte hastig die Feuerwehr. Die Tür öffnete sich. Qualm waberte die Kellertreppe hoch.
Manfred sah Katrin an. »Lauf durchs Haus und sag den Leuten Bescheid! Ich sehe im Keller nach.« Er stürmte los.
»Pass auf dich auf!«, rief Katrin ihm hinterher, dann schlug sie mit der Faust gegen die erste Wohnungstür. Eine alte Frau öffnete. »Ich kaufe nichts.«
»Es brennt. Im Keller. Bitte verlassen Sie sofort das Haus.«
Die alte Frau riss entsetzt die Augen auf, doch Katrin hatte keine Zeit für lange Erklärungen. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend rannte sie die Treppe hoch. In der ersten Etage öffnete niemand. In der zweiten traf sie eine Frau mit zwei kleinen Kindern an, die kaum Deutsch verstand. Erst als die junge Mutter den Qualm roch, begriff sie, brüllte ihren Kindern etwas zu und hastete die Treppe hinunter. Ganz oben wohnte ein älteres Ehepaar. Es brauchte unendlich lange, um zu begreifen, und noch viel länger, um die Treppe hinunter aus dem Haus zu laufen. Katrin rannte voraus. Als sie an der Haustür ankam, hörte sie von ferne das Martinshorn. Die Feuerwehr war unterwegs.
In dem Augenblick tauchte Manfred an der Kellertür auf. Er trug eine bewusstlose Frau über der Schulter. Natalie Simons. Kaum hatte er sie auf der Stufe im Hauseingang abgesetzt, sprang er wieder auf. »Kümmere dich um sie. Ich muss das Kind suchen.«
Aber er kam nicht weit. Auf der zweiten Stufe knickte er um und schrie laut auf. Katrin stürzte zu ihm. »Alles in Ordnung?«
»Mein Fuß!« Manfred versuchte aufzutreten, stöhnte leise und lehnte sich kraftlos gegen die Wand.
Katrin stand am Treppenabsatz und krallte sich an Manfreds Arm. Hinter ihr kam Natalie Simons zu Bewusstsein und wimmerte leise. »Hilfe! Hilfe, wo bin ich? Jule ? Wo ist Jule ?«
Manfred versuchte erneut, einen Schritt zu gehen, doch sein Bein rutschte unter ihm weg. Erschöpft ließ er sich auf der Treppe nieder und rieb sich den Knöchel. »Verflucht! Ich schaffe es nicht. Mein Bein. Ich kann nicht auftreten.«
Katrin hört ihn kaum, sie starrte auf die Kellertür, die sie hämisch angrinste. Ihr Herz hämmerte. Ihre Hände waren schweißnass und zitterten. Die Stufen fingen an zu tanzen, lockten aufreizend, verhöhnten sie.
» Jule !«, schluchzte Natalie hinter ihr. »Wo ist Jule ?«
Katrin fasste nach dem Geländer und schloss die Augen. Vielleicht schaffte sie es, wenn sie nicht hinsah. Langsam, unendlich langsam tastete sie sich hinunter. Ihre Beine waren bleischwer, sträubten sich gegen jede Bewegung. In ihrem Kopf rauschte es, ihr ganzer Körper zitterte, Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, und sie krallte sich an das Geländer, als hinge ihr Leben davon ab. Bei jedem Schritt glaubte sie, ins Unendliche zu stürzen, von der geifernden Treppe verschlungen zu werden. Doch nichts passierte.
Endlich spürte sie keine Stufe mehr. Sie war unten. Sie hatte es geschafft. Die Luft war unerträglich stickig, sie konnte kaum atmen. Zögernd ließ sie das sichere Geländer los und zog sich den Schal vors Gesicht. Sie musste die Augen öffnen, doch sie wagte es nicht. Noch einen Schritt. Angsterfüllt tastete sie nach der Tür und schob sich hindurch. Hitze schlug ihr entgegen, lähmte sie, brannte in ihrer Lunge. Schnell öffnete sie die Augen. Es war dämmrig, von links kam flackerndes Licht. Hastig streifte sie die Jacke ab und lief den Gang entlang.
» Jule ! Jule !« Ihre Stimme klang gedämpft durch den Schal, heiser und fremd. Während sie rannte, stieß sie Türen auf, warf einen Blick in die Räume. Von dem Mädchen keine Spur. Die Luft wurde immer schlechter, sie merkte, wie ihr Kopf schwer, ihre Bewegungen immer unbeholfener wurden.
Weiter und weiter taumelte sie den Gang entlang, stolperte über eine Kiste mit alten Zeitungen und schlug gegen die Wand, die überraschend kühl war. Schließlich erreichte sie einen großen Raum, der in lauter kleine Parzellen unterteilt war. Schlichte Wände aus Holzlatten trennten die einzelnen Bereiche. Der hintere Teil stand in Flammen, die hölzernen Trennwände brannten lichterloh. Das Feuer fraß sich durch das Holz, das jämmerlich ächzte, und näherte sich mit atemberaubender Geschwindigkeit der Tür.
Ganz vorn zeichneten sich die Konturen einer schmalen, kleinen Gestalt vor dem flackernden Licht der Flammen ab. Jule .
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