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KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

Titel: KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Zipfel
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unterschriebenen Vertrag und reichte ihn Plümeli herüber, der ihn wiederum in seiner Aktentasche verschwinden ließ. Das war zum einen nützlich, weil er sonst kaum Kopien davon hätte anfertigen können, zum anderen praktisch, weil diese einfache, aber bedeutungsschwere Geste alles Folgende vollauf als Geschäftsessen legitimierte.
    Dann studierten Plümeli und ich die Speisekarte. Die angebotenen Gerichte trugen Namen wie CLOSEST TO THE GREEN, BE BULLISH oder MAGIC MADAGASCAR. Toll! Entweder war der Namensgeber ein verhinderter Poet, ein rechter Scherzkeks oder im Dauersuff.
    Der Ober kam, um die Bestellung aufzunehmen. Ich orderte als Vorspeise eine CURRY LOVE, als Hauptspeise SOULFOOD. Das bedeutete, wenn man den ganzen Schnickischnacki wegließ: Suppe und Fisch. Nachtisch gab es keinen für mich, würde ich sowieso nicht schaffen. Bei Plümeli lief die Bestellung weitaus raffinierter. Ihn verlangte nach einer Geflügelconsommé mit Morchelraviolo (FLOATING MORALS), als Hauptspeise gegrillten Wachtelbrüstchen mit Kartoffelpüree und Sellerie (WHAT’S UP DOC) und danach einem Apfelgratin mit Calvadosmousseline und Joghurteis (WALHALLA). Dann machte er eine kleine Kunstpause und begann, seine soeben aufgegebene Bestellung in nahezu jedem Detail abzuwandeln: Morchelraviolo sei schon mal sehr schön, er wolle aber bitte zwei davon, also Morchelravioli, bevorzuge statt des Selleries ein Portiönchen Ratatouillegemüse, bevorzuge die Wachtelbrüstchen nur eine Spur gesalzen, das Kartoffelpüree dagegen mit einem Hauch Knoblauch, aber wirklich nur einem Hauch, und keinesfalls mit Muskat, und statt des Joghurteises entschieden lieber, wenn es denn wohl ginge, Vanilleeis, kurzum: alles eben so wie auf der Karte, halt nur ein bisschen anders. Der Ober nahm Plümelis Korrekturen mit stoischer Gelassenheit entgegen.
    »Und was darf ich zu trinken bringen?«, fragte er nur.
    Plümeli griff zu seiner Lesebrille, schlug die Weinkarte auf, ging sie in aller Seelenruhe durch, wobei er die Lippen schürzte, hin und wieder mit der Zunge schnalzte und die Augen verdrehte, folgte mit leicht zitterndem Zeigefinger dem Gedruckten und bestellte schließlich. Was genau, konnte ich nicht so recht verstehen, ich hörte nur so etwas wie ein genäseltes »Chateau Kack-du-Malheur«. Na ja, egal, Hauptsache kein Kork!
    »Da spürt man doch mit jeder Faser den Gourmet, Herr Plümeli!«, sagte ich, als der Ober weg war.
    »Heih, man hat halt schon so Einiges gsieh, od’rr!« antwortete er.
    Ja, ja, hat man wohl.
    Während des Essens berichtete Plümeli aufs Ausführlichste von seinen notariell beglaubigten Abenteuern und ich bekam den Eindruck, dass sein Leben insgesamt ungefähr so aufregend sein musste wie das einer Schaufensterpuppe in Paderborn. Obwohl das wahrscheinlich wieder ungerecht war. Plümeli gegenüber. Schaufensterpuppen gegenüber. Vielleicht sogar Paderborn gegenüber.
    Das Essen war gut hier, keine Frage. Fast besser als in »Selims Döner-Oase«, konnte sein. Gewürztechnisch auf jeden Fall. Musste ich zugeben. Man konnte hier jedenfalls essen, ohne sich Hals oder Magen zu verätzen. Aber das Ambiente, das war verbesserungsfähig. Keine schmachtenden Schönheiten, keine angefettelten Stimmungskanonen, kein Meer, kein Süden, kein Schmelz, kein Schmalz. Stattdessen das dezente Klirren von Besteck auf Porzellan, leises Gemurmel, hin und wieder unterbrochen durch das leicht hysterisierte Lachen einer Frau, die sich verpflichtet fühlte, amüsiert zu sein, ergänzt durch das geschmeichelte Brummen eines Mannes, der sich verpflichtet fühlte, amüsant zu sein. Langweile auf »Haute Cuisine-Niveau« eben.
    Nachdem Plümeli seine Portion WALHALLA genüsslich verzehrt hatte, tranken wir noch Kaffee. Dann zahlte ich und wir verließen das »Rive Gauche«.
    »Wie lange wird es ungefähr dauern, bis ich das Original des Vertrags bei Ihnen abholen kann?«, fragte ich.
    »Geben Sie mir zwei Stunden.«
    »Gut, dann bin ich so gegen vier bei Ihnen, in Ordnung?«
    »In Ordnung!«
    Wir verabschiedeten uns und Plümeli stapfte davon. Sein Gang war gleichzeitig forsch und ein wenig unsicher. Ich schaute ihm hinterher, wie er, eingetaucht in den Schwarm von Geschäftsleuten und Touristen, Hausfrauen, Kindern, Schaufensterbummlern, großen, kleinen, dicken und zierlichen Zürchern davonschwamm, und konnte ihn, dank Nadelstreif und Melone, noch eine ganze Weile in der Menge ausmachen, bis es ihn in eine der nächsten Querstraßen

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