KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
neun und ich hatte einen Bärenhunger. Ich ging ins Hotelrestaurant und bestellte einen Fleischlappen mit Zwiebeln und Rösti. Laut Angaben des Obers eine Schweizer Spezialität.
Zurück im Zimmer genehmigte ich mir noch ein Fläschchen Bier aus der Minibar. Dann packte ich meine Reisetasche aus, legte den dunkelblauen Pyjama mit den schmalen, weinroten Streifen, den Sonia mir neulich in Rosenheim besorgt hatte, ordentlich aufs Bett, bat ihn, noch ein bisschen Geduld zu haben und schön auf mich zu warten, zog mich aus, verschwand im Bad, wusch mich, putzte mir die Zähne, musterte das Gesicht mit dem schaumigen Mund im Spiegel, entdeckte dabei aber nichts, was mich hätte beunruhigen müssen, kehrte zufrieden zurück ins Zimmer, schlüpfte in den Pyjama, schlug das Bett auf und legte mich hinein. Endlich! Nach kurzer Zeit hüllte mich wohlige Wärme ein, ich war im Einklang mit mir und der Welt und freute mich auf seliges Schlummern. Aber nicht lange.
Die Geräuschkulisse, die aus dem Nachbarzimmer durch die Wand zu mir herüber drang, war eindeutig. Mein Nachbar hatte anscheinend just in diesem Augenblick die Verlockungen des Pay-TV entdeckt. Und seine Wahl war – was auch sonst? – auf eines jener Kopulationsdramen gefallen, in denen gut gebaute Menschen, die sich nicht liebten, mechanisch miteinander Liebe machten, nach ständig gleicher Choreografie, bis sich am Ende jede Episode in einem spritzigen Finale feucht-fröhlich auflöste, immer telegen mit Sack und Pack in der Hand.
Woher ich das wusste? Na ja, zum einen, weil ich nicht erst seit gestern auf dieser Welt war, zum anderen, weil ich es eben so unfreiwillig wie deutlich hörte, denn mein Nachbar schien einerseits den Ton zu brauchen, um das Gesehene in seiner ganzen Komplexität erfassen zu können, hatte aber andererseits augenscheinlich – oder besser: Ohrenscheinlich – Probleme mit dem Hörvermögen.
Wie sollte man so in Gottes Namen einschlafen? Schlaftabletten vielleicht? Gute Idee, aber ich hatte keine. Schafe zählen? Ach, nee! Dann vielleicht mit der Kraft des positiven Denkens? Philosophie statt Pharmazie, Thema heute: »Über das Verfertigen einschläfernder Gedanken beim Warten aufs Sandmännchen«. Stellte sich allerdings gleich die nächste Frage: Worüber denn nachdenken, so unvorbereitet aus dem Stegreif und mit dem Ohr voller inszenierter Brunft? Über den Job, zum Beispiel, wäre eine Möglichkeit. Über diesen Auftrag, den ich, wenn alles glattginge, in Kürze abschließen würde. Und vielleicht könnte ich das ja zusätzlich mit einem Element heiterer Unbeschwertheit verbinden und mir Vanessa und Maria Lappé, Jüjü und Honigmelönchen, Franjo Neumayer und Toni Mooseder vorstellen, wie sie fröhlich über eine Frühlingswiese tollten und ausgelassen Bockspringen spielten. Mooseder natürlich mit Gulaschkanone auf dem Kopf. Lustige Vorstellung. Aber dann sah ich im Geiste am Rand der Wiese Agnes Bunzenbichler sitzen, verbittert, neben sich das ungewollte Enkelkind mit Sabberfäden auf dem fleckigen Pullover mit seinen rot-grünen Rautenmustern und in seinem grotesken Kinderstuhl. Das war dann nicht mehr so lustig, wie immer eigentlich, wenn sich die Wahrheit breitmachte wie ungebetener Besuch.
Meine Theorie über die heilsame Wirkung des Verfertigens nutzloser Gedanken zeigte praktische Ergebnisse: Ich wurde tatsächlich müde und begab mich zwischen dumpf gedämpften Ächz-, Stöhn- und Seufzlauten endlich zu meinem Rendezvous mit dem Schlaf, der manchmal wirklich dickköpfig sein konnte.
40
Als ich das erste Mal aufwachte, war es draußen noch stockdunkel. Ich versuchte, die Leuchtziffern des Weckradios zu erkennen. Gerade mal halb fünf. Also umdrehen und wieder einschlafen. Umdrehen war kein Problem, einschlafen schon.
Als ich zum zweiten Mal nach der Uhrzeit guckte, war es fünf nach fünf. Also das gleiche Spiel noch mal, mit dem gleichen Ergebnis.
Beim dritten Mal war es zwanzig vor sechs. Ich hatte jetzt die Schnauze voll, machte das Licht an und stand auf.
Um zehn nach sechs war ich geduscht und fertig angezogen. Als ich das Hotel verließ, ging die Sonne gerade auf. Tag und Nacht hielten sich die Waage, ein Schwebezustand, der sich auf die Stadt und die wenigen Menschen übertrug, die um diese Zeit schon unterwegs waren. Hier und da wurden die ersten Läden beliefert, ab und zu ein Auto, ganz selten ein Fußgänger. Die Stadt reckte sich, rieb sich den Schlaf aus den Augen und zeigte sich für eine kurze Weile
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