Katz und Maus. Rowohlt E-Book Only: Eine David Hunter Story (German Edition)
schwarz, sehr fein und feucht.
«Sieht ein bisschen wie Torf aus», sagte ich. «Nur dass das Bein dafür zu stark verwest ist.»
Torf ist eines der großen Konservierungsmittel der Natur. Da er stark säurehaltig und sauerstoffarm ist, bildet er für die Mikroorganismen, die totes Gewebe zersetzen, ein unwirtliches Milieu. Wenn das Bein in Torf gelegen hätte, wäre es in einem besseren Zustand gewesen.
«Das sehe ich auch so», sagte Dr. Chen. «Es gab außerdem gröbere Bröckchen organischer Materie, wahrscheinlich Pflanzenreste. Die werde ich noch analysieren lassen. Aber irgendjemand hat Ihnen da ein ziemliches Rätsel aufgegeben, Dr. Hunter.»
Das musste er mir nicht sagen. Ich betrachtete den Fuß mit den fehlenden Zehen eine Weile. Trotz des geschwollenen und verfärbten Weichteilgewebes war nicht zu übersehen, wie verkrümmt die übrigen waren. «Dürfte ich mir mal die Röntgenbilder anschauen?»
Der Pathologe drückte den Schalter am Leuchtkasten. Das Licht ging flackernd an und beleuchtete die vor den Bildschirm geklemmten Schwarzweißaufnahmen. «Man sieht Abnutzungserscheinungen an den Talocrural- und Interphalangealgelenken, offensichtlich war das Opfer also nicht mehr jung. Über siebzig, würde ich schätzen.»
Der Blick, den er mir zuwarf, stellte das in Frage. Ich sah mir die Bilder genau an. Am Fuß lässt sich das Alter gut ablesen, und die verformten Zehen und abgenutzten Knorpel am Sprunggelenk deuteten darauf hin, dass er einem älteren Menschen gehört hatte. Aber ein Merkmal fand ich noch aussagekräftiger.
«Sagen wir sechzig, um ganz sicherzugehen. Und ich glaube, man kann mit neunzigprozentiger Sicherheit sagen, dass das ein Frauenfuß ist.»
Dr. Chen runzelte die Stirn und starrte das Röntgenbild an. «Ein Frauenfuß?»
«Das erste Metatarsophalangealgelenk …?»
Er seufzte. «Ah. Der Hallux abducto valgus.»
Die Aufnahme zeigte einen großen Zeh, der merklich nach innen geneigt war, was eine ausgeprägte Schwellung des Gelenks verursacht hatte. Einen entzündeten Ballen, mit anderen Worten. Die Deformität wurde gewöhnlich durch spitze oder zu enge Schuhe verursacht, und Frauen litten neunmal so häufig daran wie Männer.
«Na, wenigstens haben wir damit ein paar Informationen für die Polizei», sagte Dr. Chen. «Das Opfer ist höchstwahrscheinlich weiblich und mindestens sechzig Jahre alt. Aber ich hatte die Hoffnung, eine Angabe zur Leichenliegezeit machen zu können …»
Es klang wie eine Frage. Ich wandte mich wieder dem abgetrennten Körperteil in der Metallschale zu. Die Geschwindigkeit der Verwesung hängt von mehreren Faktoren ab, unter anderem der Temperatur. Das kalte Frühlingswetter hätte den Vorgang auch dann noch erheblich verlangsamt, wenn das Bein offen im Freien gelegen hätte. In einem geschlossenen Raum wäre es schneller gegangen, aber in beiden Fällen hätte das Weichgewebe vor Maden wimmeln müssen. Selbst unter kontrollierten Bedingungen ist es verteufelt schwierig, restlos zu verhindern, dass Fliegen an eine Leiche herankommen, und ein einziges Insekt hätte ausgereicht. Im vorliegenden Fall deuteten die wenigen Schmeißfliegeneier darauf hin, dass das Bein erst vor relativ kurzer Zeit mit der Luft in Berührung gekommen war, wahrscheinlich in den vierundzwanzig Stunden seit seiner Auffindung.
Alles in allem war es schwer, Dr. Chens Schlussfolgerung zu widersprechen, dass das Bein vergraben gewesen war, zumindest bis vor ganz kurzer Zeit. Damit konnte der Todeszeitpunkt Wochen oder gar Monate zurückliegen. Möglicherweise noch länger, je nach der Tiefe des Grabs und der Bodenbeschaffenheit.
Warum hatte ich bloß das Gefühl, dass wir etwas übersahen?
«Keine Ahnung», sagte ich.
Es war spät am Abend, als ich nach Hause zurückkehrte. Der Tag hatte mich angestrengt. Ich hatte im Leichenschauhaus einer Assistentin geholfen, das Weichgewebe zu entfernen, bevor Bein und Fuß über Nacht in eine Reinigungslösung gelegt wurden. Dr. Chen hatte eingewilligt, dass ich am nächsten Tag wiederkommen und die Sägespuren am Knochen untersuchen konnte, doch ich bezweifelte, dass sie uns viel mehr sagen würden, als wir bereits wussten. Die Ergebnisse der Bodenanalyse hätten mich mehr interessiert. Es konnte sein, dass ich die Sache zu kompliziert machte und dass das Bein einfach aus einem Torfgrab ausgebuddelt worden war. Aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass mehr dahintersteckte.
Und es gab immer noch keine Erklärung dafür,
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