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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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war mein neunter bis siebzehnter; aber erst ein gutes halbes Jahr später, als ich die Vierzig voll hatte, wurde ich von unserem Chef, und als ich dann ins Führerhauptquartier, hatte ich schon vierundvierzig auf der Latte; denn wir am Kanal kamen kaum raus aus den Mühlen, blieben gleich, während das Bodenpersonal, nicht jeder hat das durchhalten können; will nun aber mal zur Abwechslung was Lustiges: Auf jedem Fliegerhorst gibt es einen Staffelhund. Und als wir eines Tages unserem Staffelhund Alex, weil gerade allerschönstes Wetter war . . .« So etwa äußerte sich jener hochdekorierte Leutnant, gab zwischen zwei Luftkämpfen, als Einlage, die Geschichte des Staffelhundes Alex, der das Abspringen mit dem Fallschirm lernen mußte, auch das Anekdötchen vom Obergefreiten, der bei Alarm immer zu spät aus den Wolldecken kam und mehrmals im Schlafanzug seine Einsätze fliegen mußte.
    Der Leutnant lachte mit, wenn die Schüler, sogar die Primaner lachten, und einige Lehrer sich das Schmunzeln erlaubten. Er hatte sechsunddreißig in unserer Schule das Abitur gemacht und wurde im Jahre dreiundvierzig über dem Ruhrgebiet abgeschossen. Dunkelbraune, ungescheitelte und straff zurückgekämmte Haare hatte er, war nicht besonders groß, eher ein zierlicher, in einem Nachtlokal servierender Kellner. Beim Sprechen hielt er eine Hand in der Tasche, zeigte die versteckte Hand aber sofort, wenn ein Luftkampf geschildert und mit beiden Händen anschaulich gemacht werden sollte. Dieses Spiel mit durchgedrückten Handflächen beherrschte er nuancenreich, konnte, während er aus den Schultern heraus lauerndes Kurvenfliegen mimte, auf lange erklärende Sätze verzichten, streute allenfalls Stichworte und überbot sich, indem er Motorengeräusche vom Starten bis zum Landen in die Aula röhrte oder stotterte, wenn ein Motor defekt war. Man konnte annehmen, daß er diese Nummer im Kasino seines Fliegerhorstes geübt hatte, zumal das Wörtchen Kasino: »Wir saßen alle friedlich im Kasino und hatten . . . Gerade als ich ins Kasino will, weil ich . . . Bei uns im Kasino hängt. . .« in seinem Mund zentrale Bedeutung hatte. Aber auch sonst, und abgesehen von den Schauspielerhänden, wie vom naturgetreuen Geräuschenachmachen, war sein Vortrag recht witzig, weil er es verstand, einen Teil unserer Studienräte, die schon zu seiner Zeit dieselben Spitznamen gehabt hatten wie zu unserer Zeit, auf die Schippe zu nehmen. Blieb aber immer nett, lausbubenhaft, bißchen Schwerenöter, ohne große Angabe, sprach, wenn er etwas unerhört Schwieriges geleistet hatte, nie vom Erfolg, immer von seinem Glück: »Bin eben ein Sonntagsjunge, schon in der Schule, wenn ich an gewisse Versetzungszeugnisse denke . . .« und mitten aus einem Pennälerscherz heraus gedachte er dreier ehemaliger Klassenkameraden, die, wie er sagte, nicht umsonst gefallen sein dürften, beendete aber seinen Vortrag nicht mit den Namen der drei Gefallenen, sondern leichthin mit dem Bekenntnis: »Jungs, das sage ich Euch: Wer draußen im Einsatz steht, denkt immer wieder gerne und oft an die Schulzeit zurück!« Wir klatschten lange, gröhlten und trampelten. Erst als meine Hände brannten und hart waren, bemerkte ich, daß sich Mahlke zurückhielt und keinen Beifall in Richtung Katheder spendete. Vorne schüttelte Oberstudienrat Klohse auffallend heftig und solange geklatscht wurde, beide Hände seines ehemaligen Schülers. Dann faßte er den Leutnant anerkennend bei den Schultern, ließ plötzlich von der schmächtigen Figur, die sogleich Platz fand, ab und stellte sich hinters Katheder.
    Die Rede des Direktors dauerte. Langeweile breitete sich von den wuchernden Topfpflanzen bis zu dem Ölbild an der Rückwand der Aula, das den Stifter der Schule, einen Freiherrn von Conradi darstellte. Auch der Leutnant, schmal zwischen den Studienräten Brunies und Mallenbrandt, schaute immer wieder auf seine Fingernägel. Klohses kühler Pfefferminzatem, der alle seine Mathematikstunden durchwehte und den Geruch reiner Wissenschaft vertrat, half in dem hohen Saal wenig. Von vorne kamen Worte knapp bis zur Mitte der Aula: »Jenedienachunskommen - Undindieserstunde - Wandererkommstdu – Dochdiesmalwirddieheimat – Undwollenwirnie – flinkzähhart – sauber – sagteschon – sauber – Undwernichtdersoll – Undindieserstunde – sauberbleiben - Mitschillerwortschließen – Setzetnichtlebenein niewirdeuchgewonnensein – Undnunandiearbeit!« Wir waren entlassen und hingen, zwei Trauben,

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