Katz und Maus
bekommen und mußte beruhigt werden – stieg Mahlke noch einmal in den Kahn. Nach einer Viertelstunde – Winter schluchzte noch immer – war er wieder auf der Brücke und trug, von außen besehen, völlig unbeschädigte, kaum vergammelte Kopfhörer, wie Funker sie tragen, über beiden Ohren; denn Mahlke hatte mittschiffs den Zugang zu einem Raum gefunden, der im Inneren der Kommandobrücke über dem Wasserspiegel lag: die ehemalige Funkerkabine des Minensuchbootes. Fußbodentrocken sei der Raum, sagte er, wenn auch etwas klamm. Endlich gab er zu, den Zugang zur Kabine gefunden zu haben, als er den Tertianer zwischen Rohren und Kabelbündeln löste. »Hab alles wieder hübsch getarnt. Den findet keine Sau. War aber ne Menge Arbeit. Gehört mir nun, die Bude, damit Ihr Bescheid wißt. Ist ganz gemütlich, Könnte sich drin verkrümeln, wenn's mal brenzlich wird. Hat noch ne Menge Technik, Sender und so weiter. Müßte man wieder in Betrieb nehmen. Mal versuchen gelegentlich.«
Doch das hätte Mahlke nie geschafft. Er versuchte es auch gar nicht. Und wenn er heimlich unten gemurkst hat, hat es wohl nicht geklappt. Obgleich er ein geschickter Bastler war und eine Menge vom Modellbau verstand, wiesen seine Pläne nie in eine technische Richtung; zudem hätte uns die Hafenpolizei oder die Marine ausgehoben, wenn Mahlke den Sender wieder in Betrieb genommen und Sprüche in die Luft gefunkt hätte.
Vielmehr räumte er allen technischen Kram aus der Kabine, schenkte ihn Kupka, Esch und den Tertianern, behielt nur die Kopfhörer eine gute Woche lang an den Ohren und warf sie erst über Bord, als er planmäßig begann, die Funkerkabine neu einzurichten. Bücher –ich weiß nicht mehr welche, glaube, es waren »Tsuschima«, der Roman einer Seeschlacht und ein zwei Bände Dwinger, auch Religiöses darunter – hatte er in zerschlissenen Wolldecken eingewickelt, das Bündel in Wachstuch verpackt, mit Pech oder Teer oder Wachs an den Nähten verschmiert, auf ein handliches Treibholzfloß geladen und schwimmend, teils mit unserer Hilfe, zum Kahn geschleppt. Angeblich gelang es ihm, Bücher und Decken so gut wie trocken in die Kabine zu bringen. Der nächste Transport bestand aus Wachskerzen, einem Spirituskocher, Brennstoff, dem Aluminiumtopf, Tee, Haferflocken und Trockengemüse. Oft blieb er über eine Stunde weg und antwortete nicht, wenn wir ihn durch wildes Klopfen zur Rückkehr zwingen wollten. Natürlich bewunderten wir ihn. Aber Mahlke nahm davon kaum Kenntnis, wurde immer einsilbiger und ließ sich auch nicht mehr beim Transport seiner Klamotten helfen. Als er die farbige Reproduktion nach der Sixtinischen Madonna, die mir aus seiner Bude in der Osterzeile bekannt war, vor unseren Augen eng rollte, in den Abschnitt einer Messinggardinenstange schob, die offenen Enden der Röhre mit Plastilin zuschmierte und die Madonna im Rohr zuerst zum Kahn, dann in die Kabine schleuste, wußte ich, für wen er sich so anstrengte, für wen er die Kabine wohnlich einrichtete. Die Reproduktion muß das Tauchen nicht ohne Schaden überstanden haben – oder das Papier litt zusehends in dem klammen, womöglich tropfenden Raum, der ja nur unzureichend mit Frischluft versorgt sein konnte, weil er weder Bullaugen noch Zugang zu den ohnehin gefluteten Entlüftern hatte; jedenfalls trug Mahlke, wenige Tage nachdem er den Farbdruck in die Kabine geschleust hatte, wieder etwas am Hals: kein Schraubenzieher aber die Bronzeplakette mit dem flachen Relief der sogenannten Schwarzen Madonna zu Tschenstochau hing – denn sie hatte ja eine Öse zum Aufhängen – an schwarzem Schnürsenkel knapp unterm Schlüsselbein. Wir hoben schon vielsagend die Augenbrauen, dachten, jetzt beginnt er wieder mit dem Madonnenkram, da verschwand Mahlke, kaum daß wir auf der Brücke hockten und angetrocknet waren, im Vorschiff, war aber nach einer knappen Viertelstunde ohne Schnürsenkel und Anhänger wieder zwischen uns und machte hinter dem Kompaßhäuschen einen zufriedenen Eindruck. Er pfiff. Zum erstenmal hörte ich Mahlke pfeifen. Natürlich pfiff er nicht zum erstenmal. Aber zum erstenmal fiel mir auf, daß er pfiff, und somit spitzte er wirklich zum erstenmal die Lippen; aber nur ich, der einzige Katholik auf dem Kahn – außer ihm – kam dem Pfeifen nach: er pfiff ein Marienlied nach dem anderen, rutschte gegen die Reelingreste und begann mit aufdringlich guter Laune und freihängenden Füßen der klapprigen Brückenwandung zuerst einen Takt zu schlagen,
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