Katz und Maus
geschmiert. Sang aber auch etwas aus einer Oper, kannten wir aus dem Film »Heimat«. Sang: Achichhabesieverloren.« Röhrte: »Windhatmirliederzählt.« Orakelte: »Weißwirdmalwundergeschehn.« Sie konnte orgeln und Elemente beschwören, servierte alle nur erdenklichen weichen Stunden: und Winter schluckte, heulte ziemlich offen, aber auch die anderen mußten mit den Wimpern arbeiten.
Dazu die Möwen. Immer schon übergeschnappt wegen nichts und nochmal nichts, spielten sie nun, da unten die Zarah auf dem Plattenteller lag, vollkommen verrückt. Es lag ihr glasschneidendes Schrillen, das aus den Seelen verstorbener Tenöre drängen mochte, hoch über dem nachahmbaren und immer noch unnachahmlichen, burg-kellertiefen Grollen einer, in jenen Kriegsjahren, an allen Fronten und in der Heimat beliebten, begnadeten und tränentreibenden Filmschauspielerin mit Stimme.
Mehrmals, bis die Platten hinüberwaren und nur noch gequältes Gurgeln und Kratzen dem Kasten entkam, bot uns Mahlke dieses Konzert. Bis zum heutigen Tage hat mir Musik keinen größeren Genuß verschaffen können, obgleich ich kaum ein Konzert im Robert-Schumann-Saal auslasse und mir, sobald ich bei Kasse bin, Langspielplatten von Monteverdi bis Bartök kaufe. Stumm und unersättlich hockten wir über dem Grammophon, nannten es: Bauchredner. Lobessprüche fielen uns keine mehr ein. Zwar bewunderten wir Mahlke; doch mitten im verquollenen Getöse schlug die Bewunderung um: wir fanden ihn widerlich und zum Weggucken. Dann tat er uns, während ein tiefliegender Frachter einlief, mäßig leid. Auch fürchteten wir Mahlke, er gängelte uns. Und ich schämte mich, auf der Straße mit Mahlke gesehen zu werden. Und ich war stolz, wenn Hotten Sonntags Schwester oder die kleine Pokriefke mich an Deiner Seite vor den Kunstlichtspielen oder auf dem Heeresanger traf. Du warst unser Thema. Wir wetteten: »Was wird er jetzt machen? Wetten wir, der hat schon wieder Halsschmerzen! Jede Wette gehe ich ein: Der hängt sich irgendwann mal auf oder kommt ganz groß raus oder erfindet was Dolles.«
Und Schilling sagte zu Hotten Sonntag: »Sag mal ehrlich, wenn Deine Schwester mit Mahlke ginge, ins Kino und so, was würdest Du dann – sag mal ehrlich.«
VII
Das Auftreten des Kapitänleutnant zur See und hochdekorierten U-Boot-Kommandanten in der Aula unseres Real-Gymnasiums beendete die Konzerte im Inneren des ehemaligen polnischen Minensuchboots »Rybitwa«. Doch, wäre er nicht gekommen, hätten die Schallplatten, hätte das Grammophon allenfalls vier weitere Tage geräuschvoll getan; aber er kam, stellte, ohne unserem Kahn einen Besuch abstatten zu müssen, die Unterwassermusik ab und gab allen Gesprächen über Mahlke eine neue, wenn auch nicht grundsätzlich neue Richtung.
Der Kapitänleutnant mag etwa vierunddreißig sein Abitur gemacht haben. Man sagte ihm nach, er habe, bevor er freiwillig zur Marine ging, ein bißchen Theologie und Germanistik studiert. Ich kann nicht anders und muß seinen Blick feurig nennen. Dichtes, womöglich drahtiges Kraushaar, Richtung Römerkopf. Kein U-Boot-Bart aber dachartig vorstehende Augenbrauen. Ein Mittelding zwischen Denkerstirn und Grüblerstirn, daher keine Querfalten aber zwei steile von der Nasenwurzel aufstrebende, immerzu Gott suchende Linien. Lichtreflexe auf dem äußersten Punkt kühner Wölbung. Zierlich und scharf die Nase. Der Mund, den er für uns aufmachte, war ein weichgeschwungener Sprechmund. Die Aula überfüllt, auch mit Morgensonne. Wir hockten in den Fensternischen. Auf wessen Wunsch hatte man die beiden obersten Klassen der Gudrunschule zum Vortrag aus weichem Sprechmund geladen? Die Mädchen saßen in den vordersten Bankreihen, hätten Büstenhalter tragen müssen, trugen aber keinen. Zuerst wollte Mahlke nicht mit, als der Pedell den Vortrag ankündigte. Ich witterte für mich Oberwasser und nahm ihn am Ärmel. Neben mir, in der Nische – und hinter uns und den Scheiben unbeweglich die Kastanien des Pausenhofes – zitterte Mahlke, bevor der Kaleu seinen Sprechmund aufgemacht hatte. Mahlkes Kniekehlen klemmten Mahlkes Hände: aber das Zittern blieb. Das Lehrerkollegium, auch zwei Studienrätinnen der Gudrunschule, füllten einen Halbkreis aus Eichenstühlen mit hohen Lehnen und Lederpolstern, den der Pedell akkurat gestellt hatte. Das Händeklatschen des Studienrates Moeller bewirkte nach und nach Ruhe für Oberstudienrat Klohse. Hinter den Doppelzöpfen und Mozartzöpfen der Oberschülerinnen saßen
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