Katz und Maus
Griechenland Feldpostbriefe schickte, intime Verhältnisse zumeist mit Militärdienstgraden – Fragen also, in diese Richtung, schirmte Mahlke ab: »Laß es gut sein, Tante. Wer will in diesen Zeiten, da alles mehr oder weniger aus den Fugen gerät, den Richter spielen. Zudem geht Dich das wirklich nichts an, Mama. Wenn Papa noch lebte, wäre es ihm peinlich und Du dürftest nicht so sprechen.«
Beide Frauen gehorchten ihm oder jenem verstorbenen Lokomotivführer, den er unaufdringlich beschwor und Stille gebieten ließ, sobald Tante wie Mutter schwatzhaft wurden. Auch Gespräche über die Frontlage – die beiden verwechselten Kriegsschauplätze in Rußland mit solchen in Nordafrika, sagten El Alamein, wenn sie das Asowsche Meer meinten - wußte Mahlke mit ruhigen, nie verärgerten Hinweisen in die richtigen geographischen Bahnen zu lenken:
»Nein, Tante, diese Seeschlacht fand bei Guadalcanar statt und nicht in Karelien.«
Dennoch hatte die Tante das Stichwort gegeben, und wir verloren uns in Mutmaßungen über alle bei Guadalcanal beteiligten, eventuell versenkten japanischen und amerikanischen Flugzeugträger. Mahlke war der Meinung, die erst neununddreißig auf Stapel gelegten Träger »Hörnet« und »Wasp«, Einheiten, ähnlich dem Träger »Ranger«, wären inzwischen in Dienst gestellt und bei dem Treffen dabeigewesen, denn entweder die »Saratoga« oder die »Lexington«, womöglich alle beide, könne man inzwischen von den Flottenlisten streichen. Noch mehr Unklarheit herrschte über die beiden größten japanischen Träger, die »Akagi« und die entschieden zu langsame »Kaga«. Mahlke vertrat gewagte Ansichten, sagte, in Zukunft werde es nur noch Trägerschlachten geben, es rentiere kaum noch, Schlachtschiffe zu bauen, die Zukunft gehöre, wenn es überhaupt jemals wieder zu einem Krieg kommen werde, den leichten schnellen Einheiten und den Flugzeugträgern. Und er wartete mit Einzelheiten auf: Beide Frauen staunten, und Mahlkes Tante klatschte, sobald er die Namen der italienischen Exploratori heruntergerasselt hatte, laut und nachhallend mit knochigen Händen, bekam etwas begeistert Jungmädchenhaftes und nestelte, als es nach dem Klatschen im Zimmer still wurde, verlegen im Haar.
In Richtung Horst-Wessel-Oberschule fiel kein Wort. Fast möchte ich mich erinnern, Mahlke erwähnte lachend und während des Aufstehens, seine, wie er es nannte, weit zurückliegenden Halsgeschichten, brachte auch – und Mutter wie Tante lachten mit – das Katzenmärchen zum Vortrag: diesmal setzte ihm Jürgen Kupka das Biest an die Gurgel; wenn ich nur wüßte, wer die Mär erfunden hat, er oder ich oder wer schreibt hier?
Jedenfalls – und das ist sicher – packte mir seine Mutter zwei Stückchen Kartoffelkuchen in Packpapier, als ich mich von den Frauen verabschieden wollte. Auf dem Korridor, neben der Treppe zum Oberstock und seiner Mansarde, erklärte mir Mahlke ein neben dem Bürstensäckchen hängendes Foto. Die ziemlich modern wirkende Lokomotive mit Tender der ehemaligen polnischen Eisenbahn – deutlich war das Zeichen P K P zweimal auszumachen – füllte das Querformat. Vor der Maschine standen mit verschränkten Armen, winzig und doch beherrschend, zwei Männer. Der Große Mahlke sagte: »Mein Vater und der Heizer Labuda, kurz bevor sie vierunddreißig nahe Dirschau verunglückten. Das heißt, mein Vater konnte das Schlimmste verhüten und bekam nachträglich eine Medaille.«
X
Zu Beginn des neuen Jahres wollte ich Violinstunden nehmen - mein Bruder hatte eine Geige hinterlassen – aber wir wurden Luftwaffenhelfer, und heute ist es wohl zu spät, obgleich Pater Alban nicht müde wird, mir Violinstunden anzuraten; wie er es auch war, der mich ermunterte, von Katz und Maus zu berichten: »Setzen Sie sich einfach hin, lieber Pilenz, und schreiben sie drauflos. Sie verfügen doch, so kafkaesk sich Ihre ersten poetischen Versuche und Kurzgeschichten lasen, über eine eigenwillige Feder: greifen Sie zur Geige oder schreiben Sie sich frei - der Herrgott versah Sie nicht ohne Bedacht mit Talenten.«
Also: Es nahm uns die Strandbatterie, gleichzeitig Ausbildungsbatterie Brösen-Glettkau, hinter Dünen, wehendem Strandhafer und der kiesbestreuten Promenade in Baracken auf, die nach Teer, Socken und Seegrasmatratzen rochen. Man könnte eine Menge über den Alltag eines Luftwaffenhelfers, eines uniformierten Gymnasiasten erzählen, der am Vormittag von altersgrauen Lehrern nach üblicher Methode unterrichtet
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