Katz und Maus
wurde und am Nachmittag die Bedienungssprüche eines Kanoniers, sowie die Geheimnisse der Ballistik auswendig lernen mußte; aber es soll ja nicht meine Geschichte, nicht Hotten Sonntags naiv kraftstrotzende, Schillings durch und durch banale Geschichte abgespult werden – vielmehr darf hier nur von Dir die Rede sein; und Joachim Mahlke wurde nie Luftwaffenhelfer. Schüler der Horst-Wessel-Oberschule, die gleichfalls in der Strandbatterie Brösen-Glettkau ausgebildet wurden, lieferten uns nebenbei und ohne mit uns ein ausgedehntes, bei Katz und Maus beginnendes Gespräch zu führen, neuen Stoff: »Den haben sie kurz nach Weihnachten zum Reichsarbeitsdienst einberufen. Haben ihm das Notabitur nachgeworfen. Na, Prüfungen waren für den nie ein Problem. War ziemlich älter als wir. Seine Abteilung soll in der Tuchler Heide liegen. Ob die Torf stechen müssen? Soll ja ne Menge los sein da oben. Partisanengebiet und so weiter.«
Im Februar besuchte ich Esch im Luftwaffenlazarett Oliva. Mit einem Schlüsselbeinbruch lag er fest und wollte Zigaretten haben. Gab ihm welche, und er bot mir klebrigen Likör an. Blieb nicht lange. Auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle nach Glettkau, machte ich einen Umweg durch den Schloßgarten. Wollte sehen, ob es noch die gute alte Flüstergrotte gab. Es gab sie noch, und genesende Gebirgsjäger probierten sie mit Krankenschwestern aus. Sie flüsterten von beiden Seiten gegen den porösen Stein, kicherten flüsterten kicherten. Ich hatte niemanden zum Flüstern und schnürte mit irgend etwas im Kopf durch eine tunnelartige, weil oben mit kahlem Geäst zusammengewachsene, vogellose, womöglich dornige Allee, die vom Schloßteich und der Flüstergrotte schnurgerade in Richtung Zoppoter Chaussee lief und sich beängstigend verjüngte. Da kam mir, nach zwei Krankenschwestern, die einen humpelnden lachenden humpelnden Leutnant führten, nach zwei Großmüttern und einem vielleicht dreijährigen Jungen, der nicht zu den Großmüttern gehören wollte, sondern eine Kindertrommel, die aber still blieb, bei sich führte, abermals etwas aus februargrauem Dornentunnel entgegen und vergrößerte sich: ich stieß auf Mahlke.
Die Begegnung machte uns beide verlegen. Zudem vermittelte das Aufeinanderzulaufen in einer sogar himmelwärts verfilzten Parkallee ohne Nebenwege ein feierliches bis beklemmendes Gefühl: das Schicksal oder die Rokokophantasie eines französischen Gartenarchitekten führte uns zusammen - noch heute meide ich Schloßgärten, die im Geiste des guten alten Le Notre ausweglos gezirkelt wurden: Gewiß, wir sprachen sogleich, aber ich mußte genagelt auf seine Kopfbedeckung starren; denn der Arbeitsdiensthut war, auch wenn andere und nicht Mahlke ihn trugen, ein Unikum an Häßlichkeit: hoch und unproportioniert beulte er sich über dem Schirm, war durchtränkt von der Farbe angetrockneter Exkremente, hatte zwar oben den Mittelschlag nach Art eines Herrenhutes, nur lagen die Wülste näher beieinander, kniffen sich und ergaben jene plastische Furche, die der Reichsarbeitsdienstkopfbedeckung den Übernamen »Arsch mit Griff« eingetragen hatte. Mahlkes Haupt bedeckte dieser Hut besonders peinlich. Wurde doch so sein Mittelscheitel, selbst wenn er ihn beim Arbeitsdienst hatte aufgeben müssen, drastisch gesteigert; und wir standen uns zwischen wie unter Dornen dünnhäutig gegenüber – auch kam das Bengelchen ohne Großmütter mit nun lauter Kinderblechtrommel zurück, schlug um uns einen magisch schmeckenden Halbkreis und verging endlich mit seinem Lärm in der Verjüngung der Allee.
Wir verabschiedeten uns hastig, nachdem Mahlke mir Fragen über etwaige Partisanenkämpfe im Gebiet der Tuchler Heide, Fragen nach der Verpflegung beim Arbeitsdienst, die Frage, ob Arbeitsmaiden in ihrer Nähe stationiert seien, kaum und mürrisch beantwortet hatte. Auch wollte ich wissen, was er in Oliva zu tun, und ob er schon Hochwürden Gusewski besucht habe. Ich erfuhr, daß die Verpflegung beim Arbeitsdienst annehmbar, von Arbeitsdienstmaiden aber keine Spur sei. Gerüchte über Partisanenkämpfe hielt er für übertrieben aber nicht ganz und gar aus der Luft gegriffen. Nach Oliva hatte ihn sein Oberfeldmeister wegen irgendwelcher Ersatzteile geschickt: Dienstreise, zwei Tage. »Gusewski hab ich heute, gleich nach der Frühmesse kurz gesprochen.« Dann eine schlechtgelaunte Handbewegung: »Der bleibt sich auch immer gleich, komme was wolle!« und der Abstand zwischen uns wurde größer, weil wir
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