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Katz und Maus

Katz und Maus

Titel: Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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russische Panzer zu kritzeln und mit dem Blaustift durchzustreichen? Und wer hätte die Jungfrau verschrottet? Wer hätte das gute alte Gymnasium behexen und zu Vogelfutter wandeln können? Und die Katze und die Maus? Gibt es Geschichten, die aufhören können?

XI
    Mit Mahlkes gekritzelten Zeugnissen vor Augen, mußte ich es weitere drei vier Tage zu Hause aushallen: meine Mutter pflegte ihr Verhältnis zu einem Bauführer der Organisation Todt – oder bot sie noch dem magenkranken Oberleutnant Stiewe jene salzlose Diätküche, die ihn so anhänglich machte? – dieser oder jener Herr bewegte sich ungeniert in unserer Wohnung und trug, ohne das Symbol zu begreifen, meines Vaters eingetragene Hausschuhe. Sie aber trug, inmitten illustriertenseliger Gemütlichkeit, geschäftige Trauer von einem Zimmer ins nächste, also kleidsames Trauerschwarz nicht nur auf der Straße, sondern auch zwischen Küche und Wohnzimmer. Auf dem Büffet hatte sie etwas Altarähnliches für meinen gefallenen Bruder aufgebaut, hatte erstens ein bis zur Unkenntlichkeit vergrößertes Paßfoto, das ihn als Unteroffizier ohne Schirmmütze zeigte, zweitens die beiden Todesanzeigen aus dem »Vorposten« und den »Neuesten Nachrichten« unter Glas schwarz rahmen lassen, hatte drittens ein Bündel Feldpostbriefe mit schwarzem Seidenband geschnürt, viertens mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse und dem Krim-Schild beschwert und links neben den gestellten Rahmen gerückt, während fünftens und rechts meines Bruders Geige samt Fiedelbogen und unterlegtem, beschriebenem Notenpapier – er hatte sich mehrmals an Violinsonaten versucht – das Gegengewicht zu den Briefen bilden mußten.
    Wenn ich heute meinen älteren Bruder Klaus, den ich kaum gekannt habe, gelegentlich vermisse, war ich damals eher eifersüchtig auf den Altar, stellte mir mein vergrößertes Foto so schwarzgerahmt vor, fühlte mich benachteiligt und kaute oft an den Fingernägeln, wenn ich in unserer Guten Stube alleine war und sich der Altar für meinen Bruder nicht übersehen ließ.
    Bestimmt hätte ich eines Vormittags, während der Oberleutnant auf der Couch seinen Magen bewachte und meine Mutter in der Küche einen salzlosen Haferschleim kochte, mit selbständig werdender Faust das Foto, die Todesanzeigen, womöglich die Geige zusammengeschlagen – doch da kam der Tag der Einberufung zum Arbeitsdienst und stahl mir einen Auftritt, der sich bis heute und noch auf Jahre hinaus würde aufführen lassen: so gut hatten der Tod am Kuban, meine Mutter am Büffet und ich, der große Zögerer, ihn inszeniert. Mit meinem imitierten Lederkoffer zog ich los, fuhr über Berent nach Konitz und hatte während drei Monaten Gelegenheit, zwischen Osche und Reetz die Tuchler Heide kennenzulernen. Immer Wind und Sand unterwegs. Ein Frühling für Insektenfreunde. Wacholder kullerte. Überhaupt, Büsche und Zielansprache: die vierte Kuschel von links, dahinter zwei Pappkameraden, die gilt es zu treffen. Aber schöne Wolken über Birken und Schmetterlingen, die nicht wußten, wohin. Blankdunkle und kreisrunde Teiche im Moor, aus denen man mit Handgranaten Karauschen und bemooste Karpfen fischen konnte. Natur, wo man hinschiß. Kino gab es in Tuchel. Dennoch und trotz Birken, Wolken und Karauschen darf ich diese Arbeitsdienstabteilung mit ihrem Barackenkarree im schützenden Wäldchen, mit Fahnenmast, Splittergräben und seitlich der Unterrichtsbaracke liegender Latrine nur deshalb und wie im Sandkasten skizzieren, weil ein Jahr vor mir, vor Winter, Jürgen Kupka und Bansemer, im gleichen Karree der Große Mahlke Drillichzeug und Knobelbecher getragen und wortwörtlich seinen Namen hinterlassen hatte: in der Latrine, einem oben offenen, von Krüppelkiefern überrauschten, zwischen Ginster gepflanzten Bretterverschlag, fand sich das zweisilbige Wort, ohne Vorname und dem blanken Balken gegenüber, in ein Kieferbrett geschnitzt oder besser gekerbt – und darunter in prima Latein, doch ohne Rundungen, eher in Runenschrift, der Anfang seiner Lieblingssequenz: Stabat Mater dolorosa . . . Der Franziskanermönch Jacopone da Todi hätte frohlocken dürfen; ich aber wurde Mahlke auch beim Arbeitsdienst nicht los. Denn wenn ich mich leichter machte, und sich hinter wie unter mir der madendurchwachsene Auswurf meines Jahrgangs häufte, gabst Du vor meinen Augen keine Ruhe: laut und in atemloser Wiederholung wies ein mühsam gekerbter Text auf Mahlke und die Jungfrau hin, was mir dagegenzupfeifen auch einfallen

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