Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
unbedingt wahrgenommen,
da Sie durch diesen Busch vor den Blicken etwas geschützt sind.«
»Ich habe
nichts gesehen«, beharrte die alte Frau.
»Tja, dann
gäbe es noch die andere Möglichkeit, dass Sie es eben doch selbst getan haben«,
fuhr Streiff fort.
»Nein.«
»Dann fahren
wir jetzt zurück. Wir müssen Sie hierbehalten, ich hoffe, das ist Ihnen klar«, sagte
Streiff. »Sie können einen Anwalt anrufen und auch Ihre Familie, wenn Sie das möchten.«
»Ja, das
werde ich tun.«
In der Zelle
setzte sich Greta auf die schmale Liege und betrachtete ihre Umgebung. Der Raum
war etwa sieben Quadratmeter groß. Zwei 40-Watt-Birnen spendeten trübes Licht. Ihren
Mantel hatte sie an einen Haken gehängt, auf dem kleinen, an der Wand festgeschraubten
Tisch stand ihr Necessaire, ein Beutel aus dünnem hellbraunem Schweinsleder, sorgfältig
verarbeitet, passend für einen Aufenthalt in einem Vier-Sterne-Hotel. Auch das Bett
war festgeschraubt. Die Matratze war dünn. In einem Korb lagen Bettwäsche, eine
Wolldecke, ein Frottiertuch, Besteck und ein Becher. Greta strich über die Bettwäsche.
Sie schien sauber zu sein. Langsam begann sie, das Bett zu beziehen. Von der Toilette,
die neben der Zellentür stand, wandte sie den Blick ab. Sie trat vor das Waschbecken.
Eine frische Seife lag auf einem Schwämmchen. Ein Hahn mit kaltem, einer mit heißem
Wasser. Sie wusch sich die Hände und vermied es, ihr Gesicht im Spiegel anzuschauen.
Sie kramte ein Nachthemd aus der Tasche, aber sie machte keine Anstalten, sich umzuziehen.
Eine vage Erinnerung stieg in ihr auf, ein Bild, dem sie keine Beachtung geschenkt
hatte, damals. Jetzt gewann es Konturen, erhielt eine neue Bedeutung. Sie wunderte
sich, dass sie so ruhig blieb. Peter, dachte sie. Und dann wusste sie, was zu tun
war. Sie zog sich das Nachthemd an, schminkte sich ab, putzte sich die Zähne, legte
sich unter die Wolldecke und löschte das Licht. Sie lag wach im Dunkeln.
Streiff
und Elmer fuhren zum Präsidium, nachdem sie Greta Attinger im Polizeigefängnis abgeliefert
hatten.
»Was hältst
du davon?«, wollte Streiff wissen, als sie sich dem Büro näherten.
»Entweder
ist sie die Täterin oder sie schützt jemanden. Und wenn sie jemanden schützt, dann
sicher ihren Sohn. Bestimmt nicht ihre Schwiegertochter.«
»Es könnte
tatsächlich sein, dass sie den Täter schützt. Aber das könnte auch Nadine sein.
Natürlich nicht aus Zuneigung, aber um die Ehre der Familie zu retten, was ja auch
sie selbst betrifft. Oder um der kleinen Lotte die Familie zu bewahren, ihr nicht
die Mutter wegzunehmen.«
»Vielleicht.
Jedenfalls, wenn sie jemanden gesehen hat, dann sicher keine fremde Person. Nicht
Sibel Evren, nicht Lieselotte Bär, nicht einen Fremden, von dem wir nichts wissen.«
Streiff
nickte.
»Ich tippe
immer noch auf sie«, fuhr Zita Elmer fort. »Sie hat die nötige Kaltblütigkeit, die
Entschlossenheit – und sie hat Luzia nicht geliebt. Die anderen Familienmitglieder
waren vielleicht unglücklich, aber sie versuchten klarzukommen. Und es ist ja auch
vier Monate lang einigermaßen gegangen.«
»Wir werden
sie morgen früh weiter befragen. Und auch mit Sibel Evren müssen wir nochmals sprechen.«
Es war halb
neun geworden. Beat Streiff schickte Valerie ein SMS, dass er gleich kommen würde.
Zita Elmer machte sich auf in Richtung Leo und Margrit. Leo schlief höchstwahrscheinlich,
aber es würde nichts daraus werden, sich einfach mit einem Bier aufs Sofa zu schmeißen
und sich durchs Programm zu zappen. Es war sicher noch mindestens eine Stunde Unterhaltung
mit Margrit angesagt. Das ließ sich die Schwiegermutter nicht nehmen. Einfach so
als Babysitter abfertigen konnte man sie nicht. War ja auch verständlich, aber eigentlich
langweilte es Zita, in aller Ausführlichkeit zu hören, was der kleine Goldschatz
wieder alles gesagt und angestellt hatte. Sie wusste, welche Wörter er schon konnte.
Allzu viele waren es nicht, beim Sprechenlernen war er ein wenig ein Spätzünder,
dafür hatte er früher als andere Kinder gehen gelernt und er interessierte sich
bereits für Fußball. Wird sicher mal ein tüchtiger Sportler, der Kleine, dachte
Zita zufrieden.
Die S-Bahn
kam, Zita stieg ein. Was habe ich vorhin gesagt?, ging es ihr durch den Kopf. Es
sei vier Monate lang einigermaßen gegangen. Eigentlich wissen wir sehr wenig über
diese Familie. Einfach das, was man sich so denken kann. Man erschrickt, wenn man
ein entstelltes Kind bekommt. Man versucht, sich
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