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Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Katzenbach: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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Leon führte ein Plastikauto durch den Tunnel,
und Lotte griff nach einem Holzpferd und ließ es ebenfalls den Stollen durchqueren.
Gegen Mittag wanderten sie zusammen zur Bäckerei und kauften Apfel- und Aprikosenkuchen,
den sie zusammen im Garten aßen. Lotte sagte ab und zu ein Wort, wenn Leon sie fragte,
ob sie dieses oder jenes wollte, aber sie lächelte nie. Sie spielte mit, was Leon
vorschlug, aber zaghaft, nie blitzte in ihren Augen der Übermut auf wie früher,
wenn sie vor Ideen übersprudelte. Am Nachmittag nahm Leon sie mit in den Coop, wo
sie Cervelats kauften, und gegen fünf Uhr machte er sich mit ihr auf zur nahe gelegenen
Feuerstelle am Waldrand. Lotte half mit beim Holzsuchen und schaute zu, wie er das
Feuer entfachte. Er schnitzte für sie einen Grillstecken, auf den sie ihre Wurst
aufspießte und den sie übers Feuer hielt. Leon öffnete für sich ein Bier. Die letzten
Stunden hatte er sich gezwungen, die Gedanken an Nadine und Stefan beiseitezuschieben,
um sich ganz auf Lotte konzentrieren zu können. Jetzt sah er seine Schwester vor
sich, ihren Blick, der gar nichts mehr verstand, ihre kraftlose Gestalt, und daneben
seinen Schwager, der noch nicht ganz begriffen zu haben schien, was seine Mutter
ihnen angetan hatte. Ich werde sie anrufen, wenn Lotte im Bett ist, nahm er sich
vor. Nach dem Essen schauten sie, an einen dicken Baum gelehnt, zu, wie das Feuer
niederbrannte, wie sich das Holz in weiße Glut verwandelte, in der rote Funken aufblitzten.
Er zog Lotte ein Jäckchen über, und sie kuschelte sich an ihn. Neben ihnen schlief
der Hund.
    »Leon«,
sagte sie plötzlich.
    »Ja, Kleines«,
sein Herz machte einen Sprung. Begann sie wieder zu sprechen?
    Aber sie
schwieg, und dann spürte er, wie sie zitterte und zu weinen anfing. Er drückte sie
an sich.
    »Warum ist
Großmama im Gefängnis?« Hatte sie also mitgehört. »Ins Gefängnis müssen doch nur
Leute, die etwas Böses getan haben.«
    Wie sollte
er ihr das nur erklären? »Es ist wegen Luzia, weißt du«, versuchte er es, »Luzia
ist doch in den Bach gefallen und ertrunken. Und es ist so, dass Großmama sie dort
hat fallen lassen. Sie hätte besser aufpassen müssen.«
    »Muss ich
auch ins Gefängnis?«
    »Niemals.
Kinder müssen nicht ins Gefängnis.«
    »Ich wollte
nichts Böses tun.«
    »Du hast
auch nichts Böses getan.«
    »Es war
doch gar nicht Großmama, die Luzia zum Bach getragen hat. Ich war es. Ich dachte,
es ist besser, wenn Luzia eine andere Mama bekommt. Eine Katzenmama. Meine Mama
war immer so traurig, seit Luzia bei uns war, und da dachte ich, der liebe Gott
habe Luzia vielleicht zu einer Katzenfamilie schicken wollen, und da wollte ich
sie hinbringen. Ich wollte, dass Mama wieder fröhlich ist. Aber jetzt ist Mama immer
noch traurig und Papa auch. Und warum ist jetzt Großmama im Gefängnis? Können wir
denn Luzia einmal bei ihrer neuen Familie besuchen?«
    Leon war
schwindlig. Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Großmama wird bald wieder heimgehen
dürfen, mach dir keine Sorgen, meine Kleine, und Luzia ist jetzt bestimmt bei ihrer
Katzenmama. Komm, wir gehen nach Hause.«
     
    Greta Attinger saß in ihrer Zelle.
Ein paar Jahre, dachte sie, länger wird es nicht dauern. Vielleicht nicht einmal
so lange. Seit gestern bin ich eine alte Frau, und ich will auch nichts anderes
sein. Ich muss mir nichts mehr wünschen, nichts mehr erreichen, nicht einmal mehr
etwas bewahren. Nichts mehr ist wichtig. Aber für meinen Sohn und seine Familie
soll das Leben weitergehen. Sie hörte einen Schlüssel, ihre Zellentür wurde geöffnet.
Die Polizistin, die sie befragte hatte, stand vor ihr.
    »Sie können
gehen, Frau Attinger, packen Sie Ihre Sachen zusammen.«
    »Warum?
Wohin? Werde ich verlegt?«
    »Ihre Enkelin
hat sich ihrem Onkel anvertraut. Sie brauchen sie nicht mehr zu schützen. – Ihr
Sohn wartet draußen.«
    Greta Attinger
setzte sich. »Das ist nicht wahr«, sagte sie unsicher. »Das hat sie nicht getan.«
    »Doch. Sie
können gehen.«
    »Sie ist
doch ein kleines Kind, sie fantasiert.«
    Die Polizistin
sagte, nicht unfreundlich: »Packen Sie. Viel haben Sie ja nicht hier. Sie müssen
wissen, dass Ihr falsches Geständnis ein Verfahren nach sich ziehen wird.«
    Sie ließ
sie allein. Greta Attinger begann mit unbeholfenen Bewegungen einzupacken, legte
Zahnbürste und Zahnpaste ins Necessaire, faltete ihr Nachthemd zusammen und verstaute
es in der Tasche. Sie zog sich den Mantel über und griff nach der Tasche.

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