Katzenhöhle
außerdem an so was herangekommen sein?« Noch entschiedener hätte Helmut seinen Kopf nicht schütteln können. »Ich bin mir sicher, dass du dir die ganze Mühe umsonst machst. Da wird der Staatsanwalt begeistert sein – noch mehr Wirbel als ohnehin schon.«
»Wenn das einer ausbaden muss, dann bin das ich.«
»Und was ist mit mir? Mich fragt dann jeder, warum ich dir das nicht ausgeredet hab.«
Lilian bedachte ihn mit einem verachtenden Blick. Sie wusste genau, dass er nur an seine eigene Beförderung dachte.
»Warum bist du dir so sicher, dass es nicht doch Selbstmord war?«, fing Helmut wieder an. »Eine geradezu klassische Situation am Tatort, alle Aussagen der Nachbarn sind identisch, und auch im Büro weiß man, dass Gisela Dormann der Freund davongelaufen ist. Wenn sie sich deswegen umgebracht hat, ist sie nicht die Erste gewesen – und auch nicht die Letzte.«
»Wenn dieser hochgeschätzte Kollege es für nötig erachtet hätte, auch mit der Ärztin zu reden, dann hätte er schnell gemerkt, dass da was nicht zusammenpasst. Dann hätte er eine Autopsie durchführen lassen, und wir wären wenigstens ein bisschen schlauer. Auch Julian Herzog hat sofort erkannt, dass da was nicht stimmte – obwohl er von Gisela Dormanns Herzschmerz wusste.«
Unbeirrt tippte Lilian die Telefonnummer des Staatsanwalts ein und wappnete sich innerlich. In erstaunlich kurzer Zeit gelang es ihr aber, ihn von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Sie sollte gleich persönlich bei ihm vorbeikommen. Sehr gut, so konnte sie auch die Personenüberwachung von Lena mit ihm abstimmen. Die Gelegenheit war günstig: Die junge Frau war in München bei der Verlesung des Testaments, so dass man eine Videoüberwachungsanlage in ihrer Wohnung installieren konnte. Die Arbeit des Erkennungsdienstes war abgeschlossen, und Lena sollte den Wohnungsschlüssel im Laufe des Tages zurückbekommen. Es war also höchste Eile geboten.
»Aber sag nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, tönte es Unheil verkündend aus Helmuts Eck.
»Plagt dich sonst wieder dein Zahn, wenn du nicht in die nächste Besoldungsgruppe rutschst?«
»Deine Fürsorge rührt mich. Auf dieser Welt ist alles möglich, liebste Kollegin. Und wenn du die Ermittlungen alleine führen musst, bitte ertränk deinen Kummer nicht wieder in Alkohol – so wie gestern Abend.«
Lilian schenkte ihm ein Lächeln, süß wie Zucker, und trank den Kaffee aus. So sehr sie diesen sonst verabscheute, umso mehr brauchte sie ihn heute. Es fiel ihr schwer, richtig wach zu werden. Sie hatte tief und fest geschlafen, nicht einmal den Wecker hatte sie gehört. Wie sie in den Schlafanzug hineingekommen war, blieb ihr schleierhaft. Ob David ihr geholfen hatte? Sie erinnerte sich auch nicht mehr daran, wie er sie ins Auto befördert hatte, geschweige denn an seine Entschuldigung, warum er sich das ganze Wochenende über nicht bei ihr gemeldet hatte. Aber irgendwer musste sie nach Hause und zu Bett gebracht haben. Sollte sie ihn anrufen und sich bei ihm bedanken? Na ja, man musste ja nicht gleich übertreiben.
Rosskastanien waren Lena am liebsten. Im Wald daheim, bei der Burgruine von Donaustauf gab es viele davon. Man fand auch Linden, Eschen und Spitzahorn, aber Lena hatte sich immer einen Kastanienbaum ausgesucht – einen ganz tief in ihrer Höhle, wo niemand sie sehen konnte. Mira entschied sich jedes Mal für einen anderen Baum, die Art zählte nicht. Nur groß musste er sein und weit vorn, wo es licht war und die Sonnenstrahlen ungehindert zu ihr dringen konnten. Wenn ein Spaziergänger sie zufällig entdeckte, störte sie das nicht.
Es war Miras Idee gewesen. Am Anfang hatte Lena gezögert, wie immer, wenn es etwas Neues auszuprobieren galt. Aber Mira hörte nicht auf, ihr mit glänzenden Augen von dieser unglaublichen Kraft der Bäume zu erzählen. So folgte Lena der großen Schwester und beobachtete diese, wie sie die Energie des Himmels durch ihren Körper in die Erde fließen ließ. Es sah so einfach aus. Doch es kostete Lena unendliche Überwindung, wie Mira einen Baum zu umarmen. Lena glaubte fast, etwas Unanständiges zu tun.
»Du musst die Augen zumachen. Denk an gar nichts, lass dich einfach fallen«, lauteten Miras Anweisungen. Sie kicherte, quetschte sich neben Lena und eine Sekunde später flatterte sie davon wie ein Schmetterling auf der Suche nach einer noch bunteren Blume. »Ich gewinne bestimmt. Oh, wie schön der hier sich anfühlt! Sind sie nicht wunderbar, unsere stillen
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