Katzenhöhle
Gisela Dormann.«
»Ihr Kollege hat mich deshalb heut Mittag schon angerufen.«
Er stellte das Glas auf den Tisch und wählte einen Stuhl gegenüber von Lilian. Der Tisch hatte Einlegearbeiten aus verschiedenfarbigen Hölzern und Perlmutt. So etwas hatte Lilian bisher nur in Museen oder alten Schlössern gesehen. Julian Herzogs exquisiter Geschmack schien sich nicht nur auf Wein zu beschränken.
»Wie lange hat Frau Dormann bei Ihnen gearbeitet?«
»Etwas länger als ein Jahr.«
»Kannten Sie sie auch privat?«
»Nein. Nur einmal hab ich sie zum Abendessen eingeladen, als Dankeschön für einen schwierigen Auftrag.«
»Was war das für ein Auftrag?«
»Weiß ich nicht mehr. Ich glaube, irgendwas für die Philippinen oder Australien. Auf jeden Fall hatte sie den bewundernswert erledigt.«
»Die Firma, in der Sie arbeiten, exportiert weltweit?«
»Ja, wir haben überall Vertretungen. Manchmal verkaufen wir auch an Endkunden, zum Beispiel an Universitäten, Forschungsinstitute oder andere wissenschaftliche Einrichtungen. Der Markt für Laborgeräte ist hart umkämpft, es gibt viele Billiganbieter. Da zählt jede Bestellung.«
»Hat Frau Dormann über ihr Privatleben gesprochen – an diesem Abend etwa oder bei einer anderen Gelegenheit?«
»An diesem Abend hat sie das getan, ich erinnere mich genau. Es war der Abend, bevor sie sich das Leben genommen hat.«
»Tatsächlich? Dann waren Sie ja der Letzte, der sie lebend gesehen hat«, stellte Lilian nüchtern fest. Sie brauchte wirklich die Originalunterlagen. »Was hat sie gesagt?«
»Zuerst mal gar nichts, sie war trübsinnig, richtig depressiv. Ich hatte sie dazu überreden müssen, mit mir auszugehen. Doch im Laufe des Abends taute sie auf und schüttete mir ihr Herz aus. Darauf war ich nicht vorbereitet, ehrlich nicht. Sie war in den Tagen, ja sogar Wochen davor sehr verschlossen gewesen. Es war klar, dass sie Kummer hatte. Aber auf einmal sprudelte sie förmlich über, redete dauernd von diesem Freund, der sich mit einer anderen davon gemacht hatte. Sie gab sich selbst die Schuld daran, hatte wohl zu viel an ihm herumgemeckert. Ich wollte sie trösten, sagte ihr, das wird schon wieder. Aber irgendwie …«
»Was?«
»Sie hörte mir nicht zu. Sie trank und redete, beides ohne Unterbrechung. Ich hatte richtige Bedenken, sie in diesem Zustand alleine nach Hause fahren zu lassen. Aber sie bestand darauf.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Was verstehen Sie nicht?«
»Heute hat mir jemand erzählt, dass sie noch drei Tage vor ihrem Tod ganz froher Dinge war. Sie wollte sogar umziehen.«
»Das ist wirklich seltsam, Sie haben Recht.«
Er stand auf und schenkte Lilian nach. Überrascht schaute sie ihm zu. Sie hatte schon das ganze Glas geleert. Bevor sie ablehnen konnte, stand es wieder gefüllt vor ihr. Sie merkte nichts von der Wirkung des Alkohols. Das musste an der guten Qualität liegen – und an der deftigen Grundlage in ihrem Magen. Trotzdem würde sie sich ab jetzt zurückhalten.
»Bedanken Sie sich bei Ihren Angestellten immer mit einer Einladung für gelungene Aufträge?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich hab Sie mit Lena Zolnay auf dem Jazzer Faschingsball gesehen. Ein ungewöhnlicher Ort für Chef und Mitarbeiterin.«
»Ach, so.« Wieder stand er auf – diesmal, um den Stuhl zu verrücken. Jetzt saß er Lilian in einem schrägen Winkel gegenüber. »Das war doch was anderes.«
»Da bin ich aber neugierig.«
»Ich wollte, dass Lena unter die Leute kommt. Ich mache mir Sorgen um sie. Das mit ihrer Schwester nimmt sie ziemlich mit, auch wenn sie es sich nicht anmerken lässt. Aber ich kenne sie schon lange, so leicht lasse ich mich nicht täuschen. Sie ist eine sehr empfindsame Frau.« Seine Stimme vibrierte.
»Wissen Sie, ob Lena diese Gisela Dormann kannte?«
»Ich glaube nicht. Lena hat ja erst in der Firma angefangen, als Gisela schon tot war. Warum fragen Sie?«
»Lena hat großen Nutzen aus diesem angeblichen Selbstmord gezogen. Sie war damals arbeitslos.«
Er starrte Lilian an. »Das meinen Sie doch nicht ernst?« Jetzt hielt ihn nichts mehr auf seinem Stuhl, er sprang auf und lief ziellos hin und her. »Wie lächerlich! Lena kannte weder Gisela noch wusste sie, wo die arbeitete.«
»Trotzdem hat sie sich auf deren Posten beworben.«
»Aber das war doch Zufall! Es war eine Blindbewerbung. Lena war richtig getroffen, als sie beim Einstellungsgespräch erfuhr, dass sich ihre Vorgängerin umgebracht hatte. Erst als ich ihr nahe
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