Katzenhöhle
Gesicht ganz nah über ihrem eigenen. Sie dachte, er würde sie wieder küssen, doch er streichelte nur traurig ihre Wangen.
»Warum bloß?«
21
»Hände über den Kopf! Genauso, auf den Wagen legen! Beine auseinander! Und bloß keine Dummheiten, sonst knallt’s!«
Lilian hätte es nie für möglich gehalten, dass sie so abgedroschene Floskeln verwenden würde. Fast hörte sie sich an, als hätte sie zu viel amerikanische Actionfilme konsumiert. Aber ihre Nerven lagen blank, ihr Adrenalinspiegel musste über das Maximum schon längst hinausgeschossen sein, sie konnte sich kaum kontrollieren. Am liebsten hätte sie Cedric angeschrieen, dass er bloß nicht denken solle, sie würde ihm diesen ganzen Mist abnehmen.
»Hören Sie mir zu«, beharrte er eindringlich. »Lena ist zu Hause, und da ist jemand bei ihr, glauben Sie mir doch! Vielleicht ist sie in Gefahr, auf jeden Fall müssen wir nachschauen, wie’s ihr geht.«
»Das werde ich, da können Sie sicher sein, Sie verdammter Lügner!« Lilian fuhr sich über die Stirn, sie war nass wie ein triefender Waschlappen. »Warum wollten Sie dann wegfahren, wenn Lena in so großer Gefahr ist? Und warum soll ich Ihnen glauben, dass Lena ausgerechnet bei Ihnen nicht aufmacht, den anderen aber sofort rein lässt?«
»Das weiß ich nicht.« Verzweifelt verdrehte er die Augen. »Vielleicht hat sie gehofft, ich würde früher kommen. Dabei hab ich sie ständig angerufen, aber sie hat nie abgehoben.«
Lilian wusste nicht, was sie tun sollte. Sie musste sich unbedingt vergewissern, ob es Lena gut ging. Doch Cedric einfach laufen zu lassen, war auch nicht möglich. Vielleicht log er ihr die tollste Geschichte vor, und Lena lag längst erschlagen in ihrer Wohnung. Vielleicht suchte er nur nach einem Vorwand, um sich davon zu machen. Verdammt noch mal, warum war bloß das dumme Handy kaputt gegangen? Wenn sie wenigstens Helmut erreichen könnte.
»Wie hat der Kerl ausgesehen, dem Lena angeblich aufgemacht hat?«, knurrte sie.
»Was?« Cedric drehte den Kopf in ihre Richtung, verlor dabei aber das Gleichgewicht. Er fing sich am Auto ab.
»Bloß keine faulen Tricks!« Unsanft drückte sie ihn gegen die Wagentür und rammte ihm die Waffe in den Nacken. »Beschreiben Sie ihn, los!«
»So genau hab ich ihn mir nicht angesehen, außerdem war ich schon zu weit weg.« Er warf ihr einen bittenden Blick zu. »Geht’s vielleicht etwas weniger grob?«
Sie überhörte seine Frage. »Wenn Ihnen nicht gleich was einfällt, dann haben Sie schlechte Karten. Also?«
»Er war … kleiner als ich. Seine Haare waren … grau. Auch sonst war er irgendwie ganz in Grau.«
Ungläubig lockerte sie ihren Griff.
»Ach, ja – er hatte eine Flasche Sekt in der Hand.«
»Nehmen wir ein Glas Sekt zum Runterspülen oder lieber Wasser?«
Julian entschied sich für den Sekt. Zuvorkommend hielt er Lena das Glas an die Lippen, während er mit der anderen Hand die Schlaftabletten in ihren Mund drückte. Die erste schlucken, nachspülen, die zweite schlucken, nachspülen, dann die nächste, nachspülen … Irgendwann hörte sie zu zählen auf. Sie wusste, er würde sie erst in Frieden lassen, wenn die ganze Packung leer war. Und sie wollte, dass er sie in Frieden ließ, sie war müde, schrecklich müde. Ob ihre Vorgängerin Gisela auch so müde gewesen war, als er sie nach jenem letzten Abendessen nach Hause gefahren und in der Garage auf den Fahrersitz gehievt hatte? Wahrscheinlich hatte sie zu diesem Zeitpunkt schon längst geschlafen. Eine richtige Henkersmahlzeit war das gewesen, in einem festlichen Lokal, wie er Lena erzählt hatte. So etwas hatte er ihr selbst nicht vergönnt. Obwohl er sie doch so gerne hatte, wie er ihr immer wieder versicherte. Sie glaubte ihm, sogar jetzt noch fühlte sie mit ihm, auch wenn dies das Letzte sein sollte, was sie tun würde.
»Braves Mädchen, alles weggeputzt.«
Ein letztes Mal nachspülen. Dann ein Belohnungskuss, als hätte sie die ganze Suppe ausgelöffelt, wie brave Mädchen das zu tun pflegen. Die Flasche Sekt stellte er auf das Nachtkästchen, neben die leere Packung Schlaftabletten und den Abschiedsbrief. Er hatte keine Bedenken wegen einer Autopsie, hatte er ihr erklärt. Das Rohypnol half, die natürliche Hemmschwelle zu überwinden – auch Selbstmörder hatten schließlich Angst. Außerdem würde sie dadurch einschlafen, bevor die Magenkrämpfe einsetzten. So würde ein Rechtsmediziner die Sachlage der Polizei erklären. An alles hatte er
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