Katzenhöhle
Lilian mit dem Atmen völlig durcheinander. Sie blieb stehen und schnappte nach Luft. Auf einmal wusste sie eines ganz sicher: Lena war in Lebensgefahr.
20
Es klingelte unentwegt an der Haustür. Lena wollte nicht hingehen, sie verdrückte sich in das hinterste Eck. Ob das Cedric war? Wie sollte sie ihn abwimmeln? Sie musste die Polizei anrufen – aber die glaubte ihr sowieso nicht. Vielleicht würde die Kommissarin ihr zuhören, wenn Lena von ihren eigenen Überlegungen erzählte: Wie Cedric sie zum Essen im ›Roten Hahn‹ eingeladen und sie dort ausgehorcht hatte. Dass er wusste, in welchem Hotel sie zu finden war, denn er hatte diese eine Nacht mit ihr verbracht. Dass er aber einen anderen Moment für den Überfall hatte wählen müssen, da der Nachtportier ihn sonst hätte identifizieren können. Wenn die Kommissarin sie aber fragte, warum ausgerechnet er ein Mörder sein sollte, was würde sie antworten? Dass sie natürlich wusste, wie absurd das war, und dass sie hoffte, sie bildete sich das alles nur ein? Dass sie nicht wirklich glaubte, ein Mann wie er wäre fähig, einen geliebten Menschen zu töten? Dass das nur ein geringer Trost sein konnte, von ihm geliebt zu werden – im Angesicht des Todes?
Das Läuten hielt an. Was sollte sie tun? Konnte man das Licht von draußen sehen? Natürlich, es schien durch die Rollos. Derjenige, der da draußen war, wusste also, dass sie zu Hause war. Es klingelte in einem fort. Angst kroch in ihr hoch, kalte, nackte Angst. Sie spürte sie im Bauch, in der Brust, den Rücken hinauf, sie schnürte ihr die Kehle zu. Wenn sie sich ganz still verhielt, so wie damals bei den Bäumen, dann würde das Klingeln vielleicht wieder aufhören, und der da draußen einfach verschwinden. Doch das war ein Trugschluss. Sie war erwachsen geworden und wusste, dass solche Dinge nicht einfach so passierten. Auch die Spinnen hatten sich daran gehalten.
Auf einmal war es ruhig. Lena wagte kaum zu atmen, vorsichtig bewegte sie sich zum Fenster, spähte noch vorsichtiger durch die Lamellen der Rollos. Sie sah, wie sich jemand vom Haus entfernte. Lange, helle Haare leuchteten unter einer Straßenlaterne auf. Also doch … Lena wurde schwindelig, sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Der Mann, den sie liebte, trachtete ihr nach dem Leben. Er hatte Mira getötet, ihre Schwester, seine Frau. Mira, die sie so vermisste, trotz der bitteren Gedanken und Gefühle. Warum nur, warum hatte er das getan? Und warum wollte er sie selbst beseitigen? An dem Abend, als sie den Stadtplan holen wollte, hatte sie nicht mehr gesehen und gehört, als sie ausgesagt hatte. Das Einzige, was sie verschwiegen hatte, war das mit den Händen. Diese Hände in der Tiefgarage, die sich um ihrem Hals gelegt hatten, waren ihr bekannt vorgekommen. Sie wusste nicht, wie sie auf diese Idee gekommen war, denn alles war so schnell gegangen. Aber sie war sich sicher, dass sie sich nicht täuschte.
Lena zuckte zusammen. Das Klingeln hatte von neuem angefangen. Nein, nicht schon wieder, bitte … Es wurde immer lauter, dröhnte in ihren Ohren, schien ihr sogar das Trommelfell zersprengen zu wollen. Drehte sie jetzt völlig durch? Auch ihr Herz pochte laut, übertönte sogar dieses schreckliche Läuten. Warum ging er nicht weg und ließ sie in Ruhe? Am liebsten hätte sie zu schreien angefangen. Sie wollte ihm nichts Böses. Was zwischen ihm und Mira gewesen war, ging sie nichts an. Sie wusste nur, dass sie sich nach ihm sehnte wie eine Verrückte und noch mehr Angst vor ihm hatte.
Rrr-Rrr, Rrr-Rrr, Rrr-Rrr. So tönte es in einem fort. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Sie tastete sich zur Sprechanlage.
»Wer ist da?«
Kaum hörte sie ihre eigene Stimme, so zaghaft war diese.
»Trinkst du ein Glas Sekt mit mir?«
Julian. Fast hätte sie geweint vor Erleichterung. Benommen drückte sie auf den Türöffner und trat in den Hausgang. Ihre Knie waren wie aus Watte, die Bluse klebte an ihrem Rücken, sie zitterte immer noch.
Da kam Julian die Treppe herauf und lächelte sein verhaltenes Lächeln.
»Aber nur ein einziges Glas, Julian. Ich hab wirklich keinen Grund zum Feiern.«
»Versprochen.«
Er streichelte ihre Hand. Heute war ihr seine Berührung nicht unangenehm.
»Du bist ganz bleich. Was ist los?«
Sie antwortete nicht. Doch sie spürte, wie es ihr schon besser ging. Jetzt war sie nicht mehr alleine und brauchte keine Angst mehr haben.
Julian fragte nicht, wo das Sofa war. Wie immer bewies er Feingefühl. Nicht
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