Katzenkrieg
meldete sich die Herzogin mit ihrer bissigen Schlagfertigkeit zu Wort, «in diesem Haus wird nur über Jagd, Stierkampf und Politik gestritten. Da ich vor Langeweile noch nicht gestorben bin, wird mich nichts umbringen können. Von mir aus können Sie nach Herzenslust erzählen.»
«Meine Überlegungen haben nichts Leidenschaftliches. Ich bin Gelehrter, ein Akademiker, mehr zu trockenen Fakten neigend als zu vehementer Wertschätzung. Die Polemiken mit meinen Kollegen gleichen eher notariellen Urkunden als Streitschriften.»
«Diese Einstellung passt nicht zu einem so dramatischen Maler wie Velázquez», sagte der Marquis de Estella.
«O nein, entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen widerspreche. Velázquez hat nichts Dramatisches. Caravaggio ist dramatisch, El Greco ist dramatisch. Velázquez dagegen ist distanziert, ruhig, malt gleichsam widerwillig, lässt die Bilder unfertig stehen, sucht sich selten ein Thema aus, hat lieber die reglose Gestalt als die bewegte Szene, und selbst wenn er die Bewegung malt, malt er sie statisch, wie in der Zeit eingefroren. Denken Sie an das Porträt des Infanten Baltasar Carlos zu Pferd: Das Pferd bleibt in einem Sprung hängen, der nie zu Ende geht, und dem Infanten sieht man nichts von den Anstrengungen eines Reiters an. Velázquez selbst war ein kaltblütiger Mann. Sein Privatleben hat keinerlei Profil, Politik hat ihn nie interessiert – er hat sein ganzes Leben bei Hofe verbracht, ohne sich an den Palastintrigen zu beteiligen, etwas schwer Vorstellbares. Er war lieber Beamter als Künstler, oder wenigstens Künstler-Beamter, und als er schließlich eine hohe bürokratische Stelle bekam, hörte er auf zu malen oder wenigstens fast.»
«Wenn man Sie so hört», sagte der Herzog, «würde niemand glauben, dass Sie von einem großen Künstler von Weltformat, von einem unbestreitbaren Genie sprechen.»
Unversehens mischte sich Paquita, die sich wie zerstreut abseits gehalten hatte, ins Gespräch ein: «Ich habe den Eindruck, Señor Whitelands leitet das Wasser auf seine eigene Mühle.»
«Wie meinen Sie das?», fragte Anthony.
Paquita warf ihm einen amüsierten, herausfordernden Blick zu. «Ich meine, dass Sie sich mit Ihren in Museen und Bibliotheken erworbenen Kenntnissen Velázquez zu eigen gemacht und genau nach Ihren Vorstellungen geformt haben.»
Versöhnlich sagte der Herzog: «Sei nicht unverschämt zu unserem Gast, Paquita. Unverschämt und vermessen. Der liebe Whitelands ist eine weltbekannte Autorität – was er über Velázquez sagt, kann in den Katechismus aufgenommen werden, wenn der Ausdruck erlaubt ist.»
«Der Katechismus ist eines, indoktrinieren ein anderes», antwortete die junge Frau, ohne den Blick von Anthony abzuwenden, der in seiner Nervosität ein zweites Glas Sherry getrunken hatte und nun den Raum mitsamt seinen Möbeln und Insassen um sich kreisen sah. «Ich weiß zwar nichts über Velázquez, aber heißt das, dass Señor Whitelands alles weiß? Ich bestreite nicht, dass er alles weiß, was man wissen kann. Aber wie können wir von einem Mann, der vor Jahrhunderten gelebt hat, der sein Leben in einem Labyrinth von Zeremonien, Falschheiten und Verheimlichungen verbracht hat, und so muss der spanische Hof gewesen sein – wie können wir also von einem solchen Mann, der zudem ein großer Künstler war, sagen, er habe kein Geheimnis mit sich ins Grab genommen oder nicht ganz listig ein Doppelleben geführt?»
Anthony bemühte sich, seiner Trunkenheit und Verwirrung Herr zu werden, die er nicht nur dem Wein und dem leeren Magen zuschreiben konnte. Im Lauf seiner brillanten akademischen Karriere hatte er mit Kollegen seines eigenen Niveaus Argumente widerlegt und verfochten, immer zu Detailfragen, immer mit einer wohlbestückten Bibliographie im Hinterkopf. Jetzt aber hatte er es mit einer schönen Frau zu tun, die ihn auf seinem Gebiet angriff und ihm einen Nahkampf antrug, der ihm wie ein Abbild einer anderen, vitaleren, unmittelbareren Konfrontation vorkam. Etwas anderes als das akademische Prestige stand auf dem Spiel. Er räusperte sich und sagte: «Verstehen Sie mich nicht falsch. Im Grunde bin ich mehr einverstanden mit dem, was Sie sagen, als mit dem, was ich angeblich gesagt habe. Wir können Velázquez’ Leben Schritt für Schritt rekonstruieren bis hin zu den unbedeutendsten Ereignissen. Das Leben am Hofe Philipps IV. war wie an allen Höfen großer Monarchen tatsächlich ein Nest von Falschheiten, Verleumdungen und Gemunkel, aber auch –
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