Katzenkrieg
erleuchteten Rechteck zeichneten sich die Silhouetten zweier Männer ab, die sich herzlich voneinander verabschiedeten. Im Gegenlicht und beim schwachen Abglanz der Straßenlaternen war es ihm nicht möglich, die beiden Männer zu identifizieren, aber er hielt es für ausgemacht, dass der eine der Hausherr war. Der andere marschierte los. In der Gasse verborgen, ließ ihn Anthony vorbeigehen, und als er sich in weisem Abstand befand, begann er ihm zu folgen.
Langsam bewegten sich Verfolgter und Verfolger auf dem schwierigen Terrain voran. Nach etwa zwanzig Metern traten zwei Männer hinter den Bäumen des Boulevards hervor und stellte sich Anthony in den Weg. Er blieb stehen, und einer der Männer versetzte ihm wortlos einen Kinnhaken. Der Mantelaufschlag dämpfte die Wucht des Schlages, aber dennoch ließen ihn dieser und die Überraschung straucheln, er verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings aufs Eis. Am Boden liegend, sah er, wie der andere eine Pistole zog, sie entsicherte und auf ihn anlegte. Der Engländer kam ganz entschieden vom Regen in die Traufe.
16
Edwin Garrigaw alias Violet durchschreitet mit langen Schritten und finsterem Gesicht sein Reich. Gegen Abend hat er einen wichtigen Anruf bekommen, und jetzt versucht er, sich zu beruhigen, indem er sich der Betrachtung all dieser Schönheit hingibt. Es dauert nicht mehr lange, bis das Museum schließt, und in den Sälen der in dieser Jahreszeit ohnehin nicht stark besuchten National Gallery befindet sich niemand mehr. Ohne Publikum ist die Heizung in diesen großen Räumen ungenügend, es ist kalt. In den hohen Gewölben hallen die Schritte des alten Kurators wider. Der Anruf hat kategorisch geendet: Sieh zu, dass alles bereit ist, wenn der Moment kommt. Es ist nicht nötig gewesen, zu erklären, um welchen Moment es geht. Edwin Garrigaw hat ihn seit Jahren herbeigesehnt und sich zugleich davor gefürchtet. Jetzt scheint er gekommen zu sein oder jeden Augenblick kommen zu wollen, und das Warten erscheint ihm kurz. In seinem Alter bedeutet jede Veränderung Stress. Während er diesen Gedanken nachhängt, haben ihn seine Schritte automatisch in die Abteilung der spanischen Malerei geführt, deren unbestrittener Gebieter er ist – in dieser erhabenen Institution zieht niemand seine Autorität in Zweifel. In der Öffentlichkeit freilich fehlt es nicht an Kritik. Die Jungen glauben den Mond entdeckt zu haben und hinterfragen alles. Insgesamt nichts Gravierendes: ein Sturm im kleinen, stürmischen Akademikerteich. Diesbezüglich ist der alte Kurator unbesorgt – trotz seiner Jahre sind weder sein Posten noch sein Prestige in Gefahr.
Vor einem Bild bleibt er stehen. Auf dem Schildchen steht: Porträt Philipp IV . in Braun und Silber , unter Fachleuten Silver Philip . Das Bild zeigt einen jungen Mann mit vornehmen, aber nicht gefälligen Gesichtszügen, einem von Goldlocken gerahmten Gesicht und wachsamem, besorgtem Blick, als wollte er die Angst mit Erhabenheit übertünchen. Das Schicksal hat eine schwere Last auf schwache, unerfahrene Schultern gelegt. Der König trägt ein Wams und braune Kniehosen mit üppiger Silberstickerei. Daher der Name und der Beiname, unter dem das Werk bekannt ist. Eine behandschuhte Hand ruht würdevoll auf dem Griff des Schwerts; in der anderen hält er ein zusammengefaltetes Blatt mit dem Namen des Künstlers: Diego de Silva. Velázquez war 1622 im Gefolge seines Landsmanns, des Grafen von Olivares und Herzogs von San Lucar, nach Madrid gekommen, ein Jahr nach der Thronbesteigung Philipps IV. Damals war Velázquez vierundzwanzig, sechs Jahre älter als der König, und verfügte über eine zwar beachtliche, aber mitunter noch etwas provinzielle Technik. Als Philipp IV., unbeholfen in Regierungsangelegenheiten, aber nicht in Kunstdingen, die Werke des Mannes sah, der Hofmaler werden wollte, wurde ihm klar, dass er vor einem Genie stand, und vertraute sein Bildnis und das seiner Familie ungeachtet des Einspruchs der Experten diesem trägen, kühnen, unverschämt modernen jungen Mann an. Damit ging er mit Glanz und Gloria in die Geschichte ein. Vielleicht war der Umgang zwischen den beiden Männern einzig von der Hofetikette bestimmt, aber in der verworrenen Welt der Palastintrigen hörte der König nie auf, seinen Lieblingsmaler zu unterstützen. Beide teilten Jahrzehnte der Einsamkeit, sich kreuzender Schicksale. Die Götter hatten Philipp IV. alle vorstellbare Macht verliehen, ihn aber interessierte nur die Kunst.
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