Katzenkrieg
«Ich begleite einen internationalen Beobachter.»
Der Mann musterte Anthony misstrauisch. Dieser nahm, nachdem er sich von Paquitas Schwindelei erholt hatte, eine gelassene, fast verächtliche Haltung ein. Der andere schaute wieder Paquita an und sagte: «Kommt mit. Ich bringe euch zu einer Loge.»
«Nein», sagte sie hastig. «Er darf nicht wissen, dass ich da bin. Wir finden schon einen Platz. Und vor allem, sag ihm nichts.»
«In Ordnung. Ganz wie du willst. Im Parkett auf den Seiten gibt’s noch freie Plätze. Aber wartet nicht mehr lange, es wird ein volles Haus geben.»
Außen in einer Reihe fanden sie noch zwei Plätze nebeneinander, nicht sehr weit von einem Notausgang entfernt. Das sagte Anthony zu, der sich ängstlich umschaute, wo man sich, wenn es Radau gäbe, eilig aus dem Staub machen könnte, ohne in den Augen seiner Begleiterin die Würde zu verlieren. Aber die Situation wurde zusehends prekärer – der Publikumsandrang überschritt das Fassungsvermögen des Hauses; auf den Gängen und an sämtlichen freien Orten standen die Leute, und die Logen und Vorlogen drohten aus den Nähten zu platzen.
Mitten auf der Bühne stand ein langer, mit einem schwarzen Tuch bedeckter Tisch. Im Parkett davor war eine Reihe Blauhemden mit den Fahnen der Falange postiert. Die Stimmung erhitzte sich immer mehr. Mit zwanzig Minuten Verspätung empfing schließlich lautes Gejohle die drei Redner auf der Bühne. Anthony erkannte Raimundo Fernández Cuesta und Rafael Sánchez Mazas, nicht aber den Dritten, einen großgewachsenen, athletischen Kahlkopf, den Paquita auf Anthonys Frage hin als Julio Ruiz de Alda identifizierte, den legendären Piloten, der zehn Jahre zuvor in einem Wasserflugzeug den Atlantik überquert hatte, einer der Mitbegründer der Falange. Die drei Redner hatten sich an den Tisch gesetzt und warteten, bis Ruhe einträte. Nach einer Weile stand Fernández Cuesta auf, ergriff das Mikrophon und sagte: «Ruhe!» Sogleich verstummte der Lärm, und er begann zu sprechen.
«Wie ihr alle wisst, ist es die Absicht dieser Einberufung, Bilanz zu ziehen aus dem, was bei den letzten allgemeinen Wahlen geschehen ist. Die Volksfront hat gewonnen – ein weiterer Schritt auf dem Weg Spaniens in die Arme des Marxismus. Nun gut», mit einer gebieterischen Geste brachte er die Proteste im Publikum zum Verstummen, «wenn statt der Linkskoalition die Rechtskoalition gewonnen hätte, wäre es letzten Endes auf dasselbe herausgekommen, denn Wahlen sind eine jämmerliche Übung, um eine Gruppe von Tagedieben und korrupten Vaterlandsverrätern zu legitimieren, an der Macht zu bleiben.»
«Dieser Mann schafft es noch, dass wir alle verhaftet werden», flüsterte Anthony Paquita ins Ohr.
«Nur nicht nervös werden», antwortete sie, «das ist erst der Anfang.»
«Aus diesem Grund», fuhr der Redner fort, «ist die Falange weder mit dem einen noch mit dem anderen Block zu den Wahlen angetreten, sondern allein, obwohl sie wusste, dass sie verlieren würde, denn es ist ihr egal, in einem Spiel zu verlieren, an das sie nie geglaubt hat. Wir sind angetreten, um Propaganda zu machen, nichts weiter.» Er legte eine dramaturgische Pause ein und fuhr etwas leiser fort: «Aber auch dieses Bemühen ist fruchtlos geblieben, denn die uns verstehen, hassen uns, und die uns lieben sollten, verstehen uns nicht. Wir sind weder links noch rechts. Von der Linken haben wir den reformerischen Impetus und von der Rechten den Sinn für die Nation, aber wir haben weder den Hass der einen noch den Egoismus der anderen.»
Bei diesen Widersprüchen verloren die meisten Zuhörer und auch der Redner selbst ein wenig den Faden, der im selben exaltierten Ton, aber inhaltlich etwas wässriger weitergesponnen wurde. Das Publikum mochte sich zwar nicht abkühlen lassen, bekundete seine Begeisterung aber immer weniger spontan. Fernández Cuesta salbaderte lauthals und heftig gestikulierend noch eine Weile weiter und schloss dann mit dem Ruf «Arriba España!». Darauf antwortete das Publikum mit einer stürmischen Ovation.
Gleich danach ergriff Sánchez Mazas das Wort. Im Gegensatz zu seinem Vorredner hatte er ein schwaches Organ und sprach wie ein frustrierter Pastor, dessen Predigten keine Wirkung zeitigen. Seine Gedanken jedoch hatten mehr Substanz. Anthony dachte, er habe es nicht darauf abgesehen, die Zuhörer zu entflammen, sondern zu überzeugen, was ihm seine Sympathie eintrug, auch wenn ihm die Absicht verfehlt schien, waren doch alle
Weitere Kostenlose Bücher