Katzenkrieg
Anwesenden außer ihm ohnehin fest von dieser Ideologie überzeugt.
«Als die Falange ankündigte, sie würde allein zu den Wahlen antreten», sagte Sánchez Mazas, «gab es welche, die sagten, wir seien ja nur ein paar Leute und hätten keine zwei Peseten und keinen Baum, um uns dran aufzuhängen, wir seien tot und begraben. Ja, tatsächlich werden überall viele von uns getötet, aber begraben sind wir deswegen noch lange nicht, man wird noch viel von uns hören. Dass wir dagegen arm sind, ist richtig. Doch die Armut ist die Stärke der Falange, und weil sie arm ist, versteht und verteidigt sie die Rechte des Armen, des kleinen Bauern, des Matrosen, des Soldaten, des Landpfarrers. Verteidiger des Volkes wollen wir sein, keine Prätorianer der Großbank- und Konzernspekulanten. Die Sozialisten wollen angeblich den Tagelohn erhöhen, mit ihnen würde es sich besser leben. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Fest steht dagegen, dass ihnen Spanien vollkommen gleichgültig ist. Gegenüber diesem schäbigen Eigennutz verficht die Falange etwas anderes: Einheit des Schicksals und erhabene, erlösende Gedanken. Gerechtigkeit ohne Einflussnahmen, schlicht und einfach Gerechtigkeit, das wollen wir, damit Spanien auferstehen kann!»
Auch Sánchez Mazas bekam am Ende seiner Rede Applaus, doch die Glut des Anfangs war erloschen. Bestimmt hatte man dieselbe Botschaft während der Wahlkampagne unendlich oft gehört.
Julio Ruiz de Alda, der nächste Redner, entlockte dem Publikum mit seiner sparsamen Dynamik und dem vornehmen Schneid des Soldaten aus Navarra Beifall und Begeisterungsrufe. Es sei undenkbar, sagte er, dass Spanien mit demokratischen Mitteln aus seiner Lethargie herausfinde. Daher sei die Falange bereit, mit allen Mitteln, legalen oder illegalen, die Macht zu ergreifen. Nur so, versicherte er überzeugt, würden in einigen Jahren – zwei, drei, höchstens vier – die neuen Generationen Spanien den Nationalsyndikalismus bringen, der das Vaterland groß machen werde.
Erneute Hochrufe und Beifall. Anthony schaute auf die Uhr: Es war nach halb acht, und zweifellos ging die Veranstaltung ihrem Ende entgegen. Da wegen der Kälte alle sehr warm angezogen waren und im Raum keine Stecknadel zu Boden fallen konnte, war die Hitze erstickend. Anthony war ein wenig enttäuscht, aber innerlich zufrieden. Bisher hatte er noch nie an einer faschistischen Kundgebung teilgenommen, und jetzt sah er, dass ihre Argumente, abgesehen von einigen formalen Exzessen, nicht so abwegig waren, wie er immer gehört hatte. Falls nicht noch etwas geschieht, sind wir mit heiler Haut davongekommen, dachte er. Eine Bewegung in der Menge ließ ihn annehmen, die Teilnehmer schickten sich an, geordnet das Versammlungslokal zu verlassen. Doch in diesem Augenblick ergriff Raimundo Fernández Cuesta erneut das Mikrophon und dröhnte: «Achtung! Der Landeschef!»
Ein Erdbeben schien das Kino in seinen Grundfesten zu erschüttern, als José Antonio Primo de Rivera auftrat. Das Publikum stand wie ein einziger Mann auf und salutierte mit erhobenem Arm. Mitgerissen vom allgemeinen Schwung, stand auch Anthony auf, hob aber den Arm nicht. Eine Stimme hinter ihm wies ihn barsch zurecht: «Na, was ist, grüßen Sie nicht?»
«Ich darf nicht», antwortete Anthony mit übertrieben englischem Akzent, während er sich umwandte.
Offenbar genügte dem anderen diese Erklärung. Anthony schaute Paquita an, aber da waren alle Arme schon wieder unten, und das Publikum saß in gespannter Erwartung da, so dass er nicht sehen konnte, ob auch sie vom allgemeinen Taumel Abstand genommen hatte. Unterdessen war José Antonio beim Tisch angelangt und umarmte die Redner schulterklopfend. Dann trat er in die Mitte, lehnte sich nach vorn und begann ohne Umschweife im Stehen: «Meine Vorredner haben euch schon gesagt, falls das nötig war, welcher Anlass uns hier zusammengefügt hat. Es ist ganz einfach. Die Volksfront hat die Wahlen gewonnen. Spanien ist gestorben. Russland lebe hoch!»
Ein Gebrüll war die Antwort auf dieses knappe Statement. In einem einzigen Augenblick begann das Publikum wieder zu brodeln. Obwohl entmutigt durch die unerwartete Wendung, musste Anthony doch ganz nüchtern die außerordentliche Situation preisen, in die ihn die Launen des Schicksals da geführt hatten. In der Vorwoche hatte er über Spanien noch die spärlichen Informationen besessen, die die britische Presse ihren Lesern zu verschaffen geruhte – von der Falange und José Antonio Primo de
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