Katzenkrieg
Rivera hatte er noch nicht einmal gehört. Jetzt aber kannte er nicht nur die Partei, ihre Ideologie und ihre obersten Führer, er hatte nicht nur mit dem Parteigründer und Landeschef Bekanntschaft, ja Freundschaft geschlossen und deswegen die Aufmerksamkeit der Obersten Polizeidirektion auf sich gezogen, sondern wetteiferte tatsächlich mit José Antonio um die Gunst einer faszinierenden jungen Madrider Aristokratin, die in diesem Augenblick, aufrecht neben ihm sitzend und keuchend, die Worte dieses einmaligen, impulsiven und zweifellos verrückten Mannes verfolgte, der öffentlich zu einem Staatsstreich aufrief. Natürlich hatte sich Anthony, als Kontrapunkt zu den begeisternden Momenten, die er jetzt durchlebte, noch vor einer Woche in London eines angenehmen Lebens erfreut, während er jetzt bei einer Faschistenveranstaltung Kopf und Kragen riskierte.
«Oder hat jemand allen Ernstes geglaubt», fuhr José Antonio fort, nachdem wieder Ruhe eingetreten war, «den Problemen unserer Gesellschaft sei damit beizukommen, dass die Bürger alle zwei Jahre aufgerufen werden, irgendwelche Zettelchen in die Urnen zu werfen? Hören wir schon auf, uns Sand in die Augen streuen zu lassen! Am 14. April 1931, als die Republik die Monarchie besiegte, ist nicht eine Regierungsform untergegangen, sondern die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Grundlage, auf die sich diese Regierungsform gestützt hatte. Das wussten Azaña und seine Mitläufer ganz genau. Ihr Projekt bestand nicht darin, die liberale Monarchie durch eine bürgerliche Republik, sondern den herabgewirtschafteten Staat durch einen anderen zu ersetzen. Welches ist der neue Staat, der uns erwartet? Eines von beiden: entweder ein sozialistischer Staat, der die bisher siegreiche Revolution durchsetzt, oder ein totalitärer Staat, der den inneren Frieden schafft, indem er sich die Interessen aller zu eigen macht …»
Vielleicht, dachte Anthony, während die Applause und Hochrufe für José Antonio, die Falange und General Primo de Rivera wiederholt die Ansprache unterbrachen, würde er jetzt gern mit mir tauschen, das Podium Podium sein lassen, um an meiner Stelle neben Paquita zu sitzen und sich das ungereimte Wortgeklingel eines Verrückten anzuhören. Was will dieser Mann? Glaubt er wirklich an das, was er sagt, oder sagt er es, um sie zu beeindrucken? Und sie? Was denkt sie? Und warum hat sie mich mitgenommen? Um mir José Antonios beste oder seine schlechteste Facette vorzuführen? Und was bedeutet ihr mein Urteil?
«Lassen wir uns nicht täuschen, und warten wir nicht bis morgen!», fuhr José Antonio zunehmend hitzig fort. «Unsere Pflicht ist keine andere, als in den Bürgerkrieg zu gehen mit all seinen Konsequenzen. Einen Mittelweg gibt es nicht: Spanien muss rot oder blau sein! Und ihr könnt sicher sein, dass bei dieser Alternative unsere Wucht am Ende den Sieg davontragen wird. Dann werden wir ja sehen, wie viele schnell in ein blaues Hemd schlüpfen wollen. Aber die ersten, die der schwierigen Stunden, werden nach Pulver riechen und vom Schrot aufgerissen sein … doch auf den Schultern werden ihnen Herrschaftsflügel sprießen!»
Er konnte nichts weiter sagen, wieder stand das gesamte Publikum auf, hob den Arm und begann laut die Parteihymne Cara al sol anzustimmen.
«Gehen wir», sagte Paquita und nahm Anthony am Arm.
«Jetzt?»
«Oder nie. Alle stehen, und in diesem Hexensabbat werden sie nichts merken.»
Sie hatte recht: In einem Wald erhobener Arme gelangten sie durch eine Seitentür auf den Gang und von dort ins Foyer, wo sie in die Mäntel schlüpften und auf die Straße hinaustraten, ohne dass ihnen jemand begegnete. Es war dunkel geworden und die Straße ungewöhnlich leer, als wäre sie für den Verkehr gesperrt worden. Ein kalter Wind wirbelte die Flugblätter auf, wie sie zu allen Versammlungen gehören. In jedem Schatten sah der Engländer Feinde im Hinterhalt.
«Diese Ruhe kommt mir verdächtig vor», sagte er, «suchen wir ein Taxi und machen wir uns so schnell wie möglich davon.»
Aus dem Haus hinter ihnen erreichten sie gedämpft die letzten Strophen der Hymne, gefolgt von martialischem Geschrei. In der Calle Bravo Murillo sahen sie eine dichte Gruppe finster aussehender Arbeiter in feindseliger Haltung auf sie zukommen. Paquita lehnte sich an ihren Begleiter und bettete den Kopf an seine Schulter. Anthony verstand das Manöver, und sie gingen wie zwei verirrte Turteltauben weiter. Die Menschenflut umspülte sie und
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