Katzenmond
jeden.
Eigentlich arbeiten wir jetzt für Königin Asteria, die Elfenkönigin der Anderwelt – sie versteckt die Geistsiegel, die wir ihr bringen. Aber in Wahrheit arbeiten wir unabhängig und allein dafür, dass die beiden Welten eine Zukunft ohne allzu großen Schaden oder dämonische Einmischung haben. Manchmal ist das wirklich nicht leicht …
»Woran denkst du?« Shade schaute zu mir herüber, als ich mich im Beifahrersitz zurücklehnte und das Gesicht verzog. Ich bekam gerade Kopfschmerzen und hätte gern gewusst, wie lange es noch dauern würde, bis die Nebenwirkungen der Damishanya-Wurzel voll durchschlugen.
»Ich frage mich, wer von meinen Freunden und Bekannten unter den Toten sein mag. Wessen Familien ich gleich mit dieser Neuigkeit ins Unglück stürzen muss.« Ich rieb mir die Schläfen und wandte mich zu Chase und Sharah auf dem Rücksitz um. »Ihr habt es noch schlimmer, ich weiß. Ich will mich nicht beklagen. Es ist eben nur …«
»Nie einfach«, führte Chase meinen Gedanken zu Ende. »Glaub mir, ich verstehe dich gut, und ich würde dich nie darum bitten, mir dabei zu helfen, wenn ich nicht sicher wäre, dass deine Anwesenheit hilfreich sein wird. Ich wünschte, wir hätten Nerissa dabei. Das gehört immerhin zu ihrem Job. Sie ist eine phantastische Trauerbegleiterin.«
Ich zückte mein Handy. »Ich kann sie ja mal anrufen und fragen, wie es ihr geht.« Nach dem dritten Klingeln ging Iris dran. Ich fasste kurz zusammen, was wir erfahren hatten und wohin wir unterwegs waren. »Ist Nerissa denn fit genug, sich aus dem Haus und zum Hauptquartier zu schleppen?«
»Einen Moment.« Iris legte das Telefon hin, und während ich wartete, dachte ich darüber nach, wie gründlich jede von uns inzwischen in das Leben der anderen verstrickt war. Gleich darauf war Iris wieder da. »Sie ist praktisch nüchtern. Ich werde Bruces Fahrer bitten, sie mit der Limousine zum Hauptquartier zu bringen. Wenn ihr euch darum kümmert, dass sie auch wieder nach Hause kommt …«
»Kein Problem. Danke dir, und vielen Dank an Bruce. Richte ihr aus, dass wir uns im Hauptquartier treffen.« Ich legte auf. »Nerissa kommt.«
Chase ächzte dankbar. »Seltsam … wie sich das alles entwickelt hat.« Mehr sagte er nicht, aber ich wusste, dass er meine Stimmung aufgefangen hatte – ich kannte ihn lange genug, um das zu merken.
Nachdem er es vergeblich bei Camille versucht hatte, waren wir beide ein Paar geworden, und wir hatten einen ordentlichen Versuch einer Beziehung hingelegt. Doch die Wellen auf diesem stürmischen Meer waren einfach zu hoch gewesen. Jetzt war er mit Sharah zusammen, der Sanitäterin. Er und die Elfe schienen kompatibler zu sein. Nerissa hatte er als Opfer- und Krisenberaterin eingestellt, und außerdem war sie Menollys Verlobte. Unsere erweiterte Familie ging immer mehr Verbindungen und Verpflichtungen ein, die wir niemals hätten vorhersehen können. Das machte die Isolation wieder wett, unter der wir anfangs in der Erdwelt gelitten hatten.
Als wir das AETT -Hauptquartier erreichten, war Morio schon völlig nüchtern. Offenbar wurde sein Körper schnell mit Alkohol fertig. Camille sah ein wenig elend aus, und Shamas ebenfalls, und ich fühlte mich allmählich so flau und mies, wie sie aussahen. Doch wir alle hatten einen klaren Kopf, als wir Chase und Sharah in das Gebäude folgten.
Das Hauptquartier der inzwischen landesweit vertretenen Anderwelt-Erdwelt-Tatort-Teams umfasste mindestens vier Stockwerke, gerüchteweise sollte es noch ein weiteres, geheimes geben. Im Erdgeschoss waren die Polizei-Einheit und die Klinik untergebracht. Das erste Kellergeschoss war ein Hochsicherheitswaffenlager. Zweites Untergeschoss – Arrestzellen für Häftlinge aus der Anderwelt. Und ganz unten befanden sich Labor, Leichenschauhaus und Archiv. Heute Nacht mussten wir hinunter in die Leichenhalle – wie nur allzu oft.
Während der Aufzug mit leisem Raunen abwärtsfuhr, breitete sich eine ernste Stimmung aus. Ich starrte auf meine Füße, Shades Hand auf meiner Schulter. Ich wollte nicht da rein – ich wollte die Gesichter meiner gefallenen Freunde nicht sehen. Die ÜW -Gemeinde war eng verbunden, jeder kannte jeden.
Zischelnd öffneten sich die Türen, und wir verließen den Aufzug. Von dem gekachelten Boden hallte das Stakkato unserer Schritte wider. Die Wände waren erst kürzlich in einem sterilen Weiß gestrichen worden. Ob die Zuständigen gehofft hatten, die Atmosphäre mit Weiß statt
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