Katzenmond
versucht, es in die Luft zu jagen. Aber das ist ihm nicht gelungen.«
Ich setzte mich neben sie und begriff plötzlich, was Wilbur tatsächlich getan hatte. Er hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, um uns und unsere Geheimnisse zu schützen. »Irgendwie sind sie dahintergekommen, dass er uns beobachtet. Also haben sie sich als alte Kumpel ausgegeben, um ins Haus zu kommen. Ist euch klar, dass sie dank der Informationen in diesem Notizbuch einen Großangriff auf Königin Asteria starten könnten, um an die Geistsiegel zu kommen, die wir ihr gebracht haben? Wir dürfen das nicht hierlassen.«
Ich blätterte selbst ein bisschen darin und sah, dass Wilbur Dinge in Erfahrung gebracht hatte, von denen nicht einmal meine Schwestern und ich wussten. Zum Beispiel, dass Chase dem Intelligenzquotienten nach als Genie einzustufen war. Ich hielt inne und dachte daran, was wir noch alles herausfinden könnten, wenn wir alle seine Aufzeichnungen lasen. Doch Camille nahm mir das Notizbuch aus der Hand.
»Entweder vertrauen wir unseren Verbündeten, oder wir vertrauen ihnen nicht. Beides geht nicht.« Ihre Stimme war leise, aber mir war sofort klar, was sie meinte. »Wilbur hat uns nicht verraten. Er hat das hier vor den Dämonen versteckt, obwohl er dafür beinahe gestorben wäre.«
»Du hast recht.« Ich nahm das Notizbuch und reichte es Shade. »Verbrenn es. Jetzt gleich.«
»Nein«, widersprach Morio. »Ich finde, wir sollten schon genau wissen, was für Informationen er über uns hat.«
Ich hielt inne und zappelte innerlich hin und her wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Auch wieder wahr.«
Camille wurde ein wenig bleich, zuckte jedoch mit den Schultern. »Zwei zu eins. Shade – was meinst du?«
»Verehrte Camille, ich glaube, du sorgst dich zu viel darum, was deine Familie und deine Freunde denken könnten. Wenn jemand nichts zu verbergen hat, wird er es auch nicht schlimm finden, dass wir das hier lesen. Und wenn doch jemand etwas verheimlicht, dann sollten wir das lieber früher als später herausfinden.« Shade gab mir das Buch zurück. »Delilah, bewahr du es vorerst auf. Wenn wir zu Hause sind, versteckst du es so, dass es niemand finden kann. Wir sollten uns nur vergewissern, dass es nicht mit irgendeiner magischen Ortung versehen ist …«
»Ist es nicht.« Morio stand auf und klopfte sich den Staub von der Jeans. »Das habe ich schon überprüft. Wilburs Tagebuch nehmen wir besser auch mit. Ansonsten … sind wir hier fertig?«
Camilles Handy klingelte, und sie kramte es hervor. »Hallo?« Sie lauschte kurz und sagte dann: »Wir kommen. Ja. Danke, Sharah.« Sie wandte sich uns zu. »Wilbur ist bei Bewusstsein und ansprechbar. Es wird Zeit, dass wir ihm ein paar Fragen stellen.«
»Das kann heiter werden.« Ich stopfte das Notizbuch in meinen Rucksack, und wir verließen das Haus. Das Gefühl, mit Wilbur und seinem Leben richtig vertraut zu sein, war merkwürdig. Ich war mir gar nicht sicher, ob ich ihn so gut kennen wollte, wie ich ihn jetzt kannte.
Der Gestank von Desinfektionsmitteln überwältigte mich beinahe, als wir den Klinikbereich des AETT -Hauptquartiers betraten. Apparate klickten und piepsten, und das sterile Weiß von Bettwäsche und Wänden bildete einen scharfen Kontrast zu den Verletzungen, die hier behandelt wurden. Wilbur war zwar ein VBM , aber er wurde in gewisser Weise dennoch der ÜW -Gemeinde zugerechnet. Deshalb hatte Sharah sich dafür entschieden, ihn hier zu behandeln, statt ihn in ein normales Krankenhaus zu bringen.
Er war in zahlreiche Verbände gewickelt. Sein Bein steckte in einer Schiene, der Arm ebenso. Der Kopf war dick verbunden und jeder sichtbare Teil seines Körpers mit Prellungen und Blutergüssen bedeckt. Sharah hatte ihn rasiert, und ich stellte überrascht fest, dass unter dem Gestrüpp von einem Vollbart tatsächlich ein recht gutaussehender Mann zum Vorschein gekommen war. Er wirkte ein wenig benommen, aber wach.
»Hallo, Wilbur.« Ich trat bis ans Bett, legte die Hände auf das Seitengitter und starrte auf ihn herab.
»Na, wenn das nicht mein Pussykätzchen ist.« Seine Stimme war rauh und heiser, als hätte er zu lange zu viel geraucht, und er hustete. »Wenn ich das recht verstanden habe, darf ich mich bei dir und deiner Familie dafür bedanken, dass ich noch lebe.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Tja, kann sein. Eigentlich hat Martin uns in den Keller geführt.«
»Ihr seid mitten in der Nacht in meinem Haus herumgeschlichen.« Das war eine
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