Katzenmond
Karpfen. Wo, frage ich Sie, steckt hinter all dem der Sinn?«
Müller antwortete nicht, sondern gab einem unkontrollierten Zucken seiner Hände nach, bis es so stark wurde, dass er zur Tür gehen und sich dort am Rahmen entladen musste. »Seit heute früh«, knirschte er, »rennen wir uns die Hacken nach diesem Mädchen ab, durchwühlen ihr Zimmer und eiern in der Weltgeschichte herum. Sie zerren mich wie einen Dackel hinter sich her, ohne sich auch nur im Ansatz die Mühe zu machen, mich in Ihre Pläne einzuweihen, Sie klauen mir meine Gegenüberstellungund schleppen mich erst zu Feldmeyer und dann auf dieses Wrack, und jetzt erzählen Sie mir, dass Sie während dieser ganzen verdammten Zeit keine Gelegenheit hatten, mir zu erzählen, dass Sie gestern Abend bei der Toten waren?« Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter, den letzten Satz brüllte er Liebermann in einer Gischt von Speichel entgegen, so dass dieser unwillkürlich hinter seinem Arm in Deckung ging. »Bis jetzt«, schrie Müller, »war die Mordkommission ein Team und keine Krabbelgruppe unter Leitung eines selbstverliebten Neurotikers! Wenn Sie denken, dass Sie da mit einer billigen Tracht Prügel wieder rauskommen, haben Sie sich geschnitten. Gewaltig geschnitten!«
Liebermann blickte fasziniert auf den riesigen Oberkommissar, der während seines Ausbruchs noch gewachsen schien und ihm wie ein herrlicher, fetter Racheengel vorkam. Zudem beeindruckte ihn seine Bildersprache. Er schämte sich. Nicht wegen des vergessenen Berichts über Constanze, sondern weil er Müller unterschätzt hatte. Als er sich entschuldigte, galt sein Einsehen hauptsächlich diesem seinem Fehler.
»Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu übergehen«, fügte er hinzu. »Die Ereignisse haben mich überrollt. Und da wir schon dabei sind, gestehe ich Ihnen, dass ich noch eine weitere Eigenmächtigkeit begangen habe, indem ich gestern wegen des Rings bei Dr. Genrich war, den Kaiser im Hals hatte. Und bei Fräulein van Hoefen, um sie ihn anprobieren zu lassen. Er saß wie angegossen, es ist ihrer. Weiterhin gestehe ich Ihnen, dass ich bei alldem dem Geist einer biblischen Idee gefolgt bin. Aber da ich bemerkt habe, dass Geister in der Mordkommission einen schweren Stand haben, wollte ich ihm zunächst etwas Substanz geben. Er hat sich gerade aufgelöst«, schloss er mit einem traurigen Blick auf die Leiche. »Es tut mir aufrichtig leid.«
Müller ließ seine Kiefer malmen und starrte zu Boden. Zeit verstrich, in der jeder einen anderen Punkt in der Kajüte fixierte.
»Die Geschichte mit dem Termin und ihrem plötzlichen Tod ergibt einen Sinn, wenn jemand ihr Telefonat mitbekommen hat«, sagte er schließlich rau. »Einer, dem der Polizeitermin nicht in den Kram gepasst hat. Oder: Die Kleine konnte den Termin heute nicht abwarten, weil ihr nach Ihrem Besuch und dem Anruf klargeworden ist, dass sie aus der Geschichte nicht mehr rauskommt, egal, was sie uns erzählt. Mein Favorit.«
»Meiner nicht«, sagte Liebermann, erleichtert, dass der Oberkommissar wieder in normaler Lautstärke sprach. »Ich denke eher an den Zugriff des Schattens.«
Müller wandte sich stöhnend ab. »Hol Sie der Teufel!«
Eine halbe Stunde später glich die Kajüte des Hausbootes einem Schlachtfeld. Die üblichen Kohorten waren angerückt. Die weißen von der Spurensicherung, das Fußvolk in Blau, der Fotograf mit einem Praktikanten, Dr. Genrich, die Liebermann keines Blickes würdigte, und ein erschöpft wirkender Simon. Die Alte mit dem Magenkrebs war erst zum Gespräch bereit gewesen, nachdem sie ihn mit einem Liter bluterneuerndem Brennnesseltee abgefüllt hatte. Er hatte sich noch nicht davon erholt, als Liebermanns Anruf eingegangen war.
Auf dem Kastentisch der Kajüte lag, säuberlich nebeneinander, der Inhalt von Constanze van Hoefens Manteltaschen: ein hellbrauner Lippenstift, ein Zahnpflegekaugummi, das zerknüllte Papier eines zweiten, ein zweimal gefaltetes A4-Blatt, inzwischen glattgestrichen, ein schmaler Schlüsselbund und eine grüne Samtbörse mit zwei benutzten AB-Fahrscheinen und etwas Kleingeld. Außerdem hatte ein scharfsichtiger Beamter unter dem Kühlschrank eine verschrumpelte Gurkenscheibe gefunden. Ganz außen rechts stand das Weinglas. Jemand hatte eine Flasche danebengestellt. Liebermann betrachtete versonnen die schrumplige Gurke.
»Haare in allen Farben und Formen«, sagte der scharfsichtigeBeamte, der sich ihm bereits zweimal vorgestellt hatte. »Das dauert.«
»Wie
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