Katzenmond
hatten, aus denselben Quellen wie sein Sohn. Mit einer Ausnahme, und die hatte wirklich übel ausgesehen.
»Dann nimm die Kater vom Katzenhaus. Würdest du etwa auch abstreiten, dass sie Opfer des Schwätzers sein könnten?«
Cäsar spreizte sich unwillig. Ein paar Häuser weiter hockte ein verängstigtes Junges auf dem First einer Gaube. Serrano hatte ihm auf dem Weg dorthin den Weg verstellt, ohne Rücksicht auf jede Etikette.
»Meinetwegen: Theoretisch. Praktisch sind sie die Opfer einesunbekannten Schlägers. Und ich sag dir auch, warum: weil der Schwätzer dieses Viertel vor Jahren verlassen hat. Entweder durch Flucht oder Tod.«
Auch dieses Argument war nicht neu, genauso wie die Antwort darauf.
»Wenn es Flucht war, könnte er zurückgekehrt sein, um sein Werk zu vollenden.«
»Nämlich?«
»Das Viertel an sich zu reißen, indem er unsere Weibchen schwängert.«
Cäsar seufzte. »Macht es dir eigentlich Spaß, mir die Zeit zu stehlen? Selbst wenn Balthas ihn seinerzeit nicht erledigt hätte, stünde der Schwätzer jetzt am Rand des Grabes. Er wäre ein uralter Greis ohne Zähne!«
»Er wäre ungefähr fünfzehn«, beharrte Serrano. »In diesem Alter hat man noch Zähne.«
»Na schön. Aber kann man in diesem Alter auch noch Junge zeugen?«
Serrano schwieg.
»Wer es auch ist, falls er sich noch hier aufhält, werden wir ihn finden«, fuhr Cäsar im besänftigenden Ton desjenigen fort, der nach langem Streit überraschend einen Sieg errungen hat. »Und dann wird er büßen. Lass dir keine grauen Haare wachsen, bleib auf der Spur deiner Tüten, um alles andere kümmern wir uns.«
Mit einem abschließenden Nicken setzte er sich in Bewegung.
Serrano blieb sitzen. Wir? Hatte sein Sohn etwa bereits eine Katerwehr auf die Pfoten gestellt? Und wenn ja, wer gehörte ihr an – Streuner? Ben?
Vivian Kaisers Reaktion auf die Nachricht vom Tod ihrer Nebenbuhlerin war schwer zu deuten. Sie stellte eine Kanne unddrei Tassen auf ein Tablett, sagte »Pardon« und ging aus der Küche.
Nach einer Weile pfiff der Teekessel. Simon nahm ihn vom Herd, während Liebermann mit spitzen Fingern eine kupferfarbene Frucht anhob, die an einer Hängepflanze auf der Fensterbank wuchs. »Physalis?«, fragte Simon.
Liebermann roch daran und konsultierte ein Plastikschild in der Erde. »Tomate würde ich sagen. Sweet Viviane . Interessanter Name, finden Sie nicht?«
Simon füllte das Wasser in eine vorbereitete Kanne und gab Liebermann ein Zeichen, ehe er die Küche ebenfalls verließ. Liebermann sah ihm anerkennend nach. Zwar gelang es ihm, in Krisenzeiten mehrere Eindrücke gleichzeitig aufzunehmen, dagegen war er unfähig, nebenher eine Tätigkeit auszuführen, etwas, das dem jungen Anwärter offenbar keine Probleme bereitete. Nebenan rauschte die Toilettenspülung.
»Oh, Sie waren schneller als ich«, meinte Vivian Kaiser, als sie zurückkehrte. »Wo ist Ihr Kollege?«
»Hier.« Mit glänzenden Augen tauchte Simon auf. »Eine schöne Wohnung haben Sie. Der optimale Fengshui-Schnitt.« Mit einer fließenden Bewegung nahm er ihr das Tablett ab und trug es ins Wohnzimmer.
»Es ist nicht gerade sauber hier, fürchte ich«, meinte Vivian Kaiser, als er es auf den Tisch stellte. »Ich habe der Putzfrau Urlaub gegeben, und David war noch nicht da. Ich hoffe, Sie mögen Earl Grey.«
»Sehr«, sagte Simon. Liebermann sah sich um. Eines der Sofakissen war zu Boden gefallen, sonst wirkte das Zimmer so geleckt wie am Tag zuvor. Er setzte sich. Simon schenkte Tee aus, was die Witwe ihm mit einem schwachen Lächeln lohnte, und zog sich auf den Stuhl neben dem Hauptkommissar zurück. Sie selbst nahm das Sofa. Dabei scheuchte sie, ohne es zu merken, die weiße Katze auf.
»Wie ist das Mädchen denn, ich meine, ist sie auch …?«
»Es sieht so aus«, sagte Liebermann. »Genaueres wissen wir erst nach der Obduktion.«
Ihre Lider bebten leicht. »Und wann wird mein Mann freigegeben?«
»Auch das entscheidet die Gerichtsmedizinerin.« Liebermann trank einen Schluck und betrachtete die Witwe, deren übergroße Pupillen ihn an den Internet-Artikel über Tollkirschen erinnerten. Er tippte auf ein Beruhigungsmittel. »Hatte Ihr Mann einen Computer hier in der Wohnung?«
Vivian Kaiser änderte die Position ihrer Hände. »Warum?«
»Ich würde ihn gern sehen.«
Sie warf einen hilfesuchenden Blick zu Simon, und Liebermann stellte erstaunt fest, dass der Kriminalanwärter ihm beim Guter-Bulle-böser-Bulle-Spiel die Rolle weggenommen
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