Katzenmond
Stück, alle schwarz und stumpfschwänzig«, berichtete Maja. »Zwei von ihnen haben weiße Schnurrhaare.«
Ihr Vater war demnach ein schwarzer Kater mit weißen Schnurrhaaren und stumpfem Schwanz. Krümels Schwanz hatte die üblichen Maße, und sie selbst war schwarz wie Teer, kein weißes Haar an ihr. Serrano war seine alte Revierliste durchgegangen. Es gab mehrere schwarze Kater im Viertel und wenige mit weißen Schnurrhaaren, aber keinen mit einem stumpfen Schwanz.
Im diffusen Licht der Schuppenfenster tanzten Staubteilchen. Spinnennetze verschiedener Größe und unterschiedlicher Qualität bedeckten jede freie Ecke des Raums. Von seiner ehemaligen Nutzung zeugten eine Transportwanne, ein offener Metallschrank und einige rostige Stecken mit Zinken und Schaufeln an den Enden. Das Einzige, was aus dem Rahmen fiel, war eine Sammlung bunter Handschuhe im untersten Fach des Schrankes. Maja hob bedrückt einen blauen Fingerling auf. »Kalt.«
Serrano ging an ihr vorbei zum Schrank. Einige der Handschuhe kamen ihm bekannt vor. Ein weiteres Geschenk von Maja an ihre Tochter. Vereinzelt klebten noch schwarze Haare in den Maschen, und auf einem Fäustling begegnete ihm ein angetrockneter weißlicher Fleck. Vorsichtig roch Serrano daran. »Sie kann trotz allem umgezogen sein.«
»Du hast eines ihrer Kleinen unter deinem Flieder gefunden!«, fauchte Maja.
»Vielleicht hat ihm das neue Nest nicht behagt.«
Maja schleuderte den Fingerling gegen eine Schaufel. »Warum weigerst du dich zu begreifen, was offen vor dir liegt? Krümel ist nie im Leben freiwillig von hier weggegangen! Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: weil sie es mir erzählt hätte!«Bevor sie sich trennten, nahmen sie eine Arbeitsteilung vor. Maja, die Zugang zu allen offenen und geheimen Informationskanälen des Viertels besaß, würde ihrer gewohnten Beschäftigung nachgehen: Besuche machen. Sie würden weniger gemütlich sein als sonst, einseitiger und würden in rascher Folge stattfinden. Serrano fiel die undankbare Aufgabe zu, Höfe, Schuppen und Keller abzugrasen, in der Hoffnung, irgendwo seine eingesperrte Tochter zu finden. Was bei ihrem Naturell durchaus möglich war. Er sah jetzt klarer, woher der kleine Dämlack seine Desorientiertheit hatte.
Sie verabredeten sich zum Siebenuhrläuten der Kirchglocken, dann ging Maja, und Serrano blieb, um das Grundstück des Schuppens zu inspizieren, nebst dem Keller des Hauses, zu dem es gehörte.
Von dort aus wollte er sich ins Viertel hineinschrauben. Der Plan war einfach, aber sinnvoll, denn eine von Krümels auffälligsten Eigenschaften war ihre Ängstlichkeit, die, wie er wusste, mit dem schlechten Gewissen einherging, überhaupt geboren zu sein. Im Juli vor zwei Jahren hatte Maja die letzten Jungen zur Welt gebracht, für die Serrano verantwortlich zeichnete. Er hatte sie wie üblich am Tag nach der Geburt besichtigt und für gut befunden. Deshalb war er bass erstaunt gewesen, bei seinem nächsten Besuch zwischen Majas Handschuhen ein weiteres Neugeborenes vorzufinden. Es war ein heiser schreiendes, mageres Ding gewesen, mit zu großem Kopf und stachligem Rückgrat, über das die anderen rücksichtslos hinwegtrampelten.
Sogar Maja schien es peinlich zu sein. Sie hatte nach zwei glücklichen Tagen plötzlich noch einmal Wehen bekommen und widerwillig das mickrige Ding aus sich herausgepresst, einen Querschläger, ein Unfähiges, das unter ihren Augen verenden würde, während es alle mit seinen Schreien malträtierte. Serrano hatte sich erboten, die Sache abzukürzen, aber davon wollte sie nichts wissen. Dem Unfähigen sollte wenigstens die Würdeeines eigenen Sterbens beschieden sein. Doch selbst daran war Krümel gescheitert. Irgendwann hatte Maja es nicht mehr ausgehalten und die anderen weggeschoben, um ihr die Zitze ins Maul zu stecken. Immer wieder, im Grunde bis heute, wo sie ihr eine Unterkunft für ihren ersten eigenen Nachwuchs besorgt hatte. Solange Serrano seine Tochter kannte, hatte sie kein einziges Mal die Initiative für irgendetwas ergriffen. Wie weit würde sich so jemand wohl freiwillig von seinem Nest entfernen?
Weiter als erwartet, stellte er fest, als er nach der Besichtigung der zigsten Kellerflucht in die Geschwister-Scholl-Straße einbog. Langsam verlor Serrano die Lust. Er überlegte eben, ob er eine Futterpause einlegen sollte, da sah er den Mann.
Im Allgemeinen interessierte Serrano sich wenig für Menschen, aber dieser hier hatte etwas, das ihn bewog innezuhalten.
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