Katzenmond
seinen Anwärter, der da bleich wie ein Handtuch auf seinem Stuhl hockte. Es kam einem unausgesprochenen Abkommen gleich, dass die beiden Männerleise miteinander redeten. Man störte die Toten nicht, sie bedurften nach den Strapazen des Lebens der Ruhe. Auf ihrem Gemurmel glitt Liebermann davon, zu einem Tag im August vor einundzwanzig Jahren, an dem ein Freund von ihm sich von einem Zug hatte überrollen lassen. Liebermann hatte sich damals viele Gedanken über die auf den Schienen gefundenen Scherben gemacht, die bei aller Sorgfalt nie wieder einen ganzen Kopf ergeben hatten. Erst als plötzlich Stille eintrat, merkte er auf. Timmi und Simon sahen ihn an.
»Soll ich weitermachen«, fragte Simon ruhig, »Oder wollen Sie es gleich überprüfen?«
»Was?«
»Die Versteigerung.«
»Entschuldigung«, sagte Liebermann. »Welche Versteigerung?«
»Im Stadthaus«, antwortete Simon, der begriff, dass der Kommissar nicht zugehört hatte. »Letzten Mittwoch ab zwölf. Herr Wiese wollte ein paar Fahrräder ersteigern, aber er kam zu spät.«
Liebermann legte die Scherben vom Kopf seines Freundes vorsichtig zur Seite. »Zeugen?«
»Na ja, um die fünfzig«, meinte Timmi grinsend.
»Wir könnten annoncieren«, schlug Simon vor. »Oder uns zumindest erst mal den Termin bestätigen lassen.«
»Nein, wir fahren fort. Wie sieht es mit gestern Abend aus?«
Timmi kniff die Augen zusammen. »Da haben wir uns vor dem Katinka getroffen, erinnerst du dich?«
»Durchaus. Aber gegen halb zehn bist du weggerannt, um einen Kunden zu empfangen. Der Name des Kunden würde mich interessieren.«
Timmi schob die Lippen vor. »Darf man hier rauchen?«
»Das überlege ich mir dann.«
Timmis Gesichtsmuskeln gingen mehrere Bewegungsmuster durch, ehe er nach einem weiteren Blick auf seine Nagelhäutesagte: »Du weißt genauso gut wie ich, dass es keinen gab. Ich konnte nur Ralphs Moralgequatsche nicht länger ertragen.«
»Wer ist Ralph?«, erkundigte sich Simon sacht.
»Ein gemeinsamer Bekannter. Also kein Kunde. Das ist ungünstig, es sei denn, du bringst jemand anderen bei, der dir gestern Abend Gesellschaft geleistet hat.«
»Wie wäre es mit Frank?«
»Meinetwegen.«
»Darf ich jetzt rauchen?«
Liebermann stand auf und öffnete das Fenster. Als er an den Tisch zurückkehrte, schüttelte Timmi gerade eine zerknautschte Packung Tabak, Paper und ein paar Filter aus einer blauen Tüte.
Simon sah fasziniert zu, wie er aus diesen Zutaten in Windeseile eine Zigarette herstellte.
»Das erfordert geschickte Finger«, sagte er zu Liebermann. »Ich hab's auch mal versucht, aber mir ist alles auseinandergefallen.«
Liebermann sagte nichts. Er zog ein Fach seines Schreibtisches auf, kramte eine Weile darin herum, legte die Tüte, die den Umschlag mit Kaisers Drohbriefen enthalten hatte, neben Timmis und strich sie glatt. Ein Mann auf einem Hochrad wurde sichtbar. Darüber stand in goldenen Buchstaben: Ihr RADgeber.
»Dein Laden muss florieren, wenn du dir eine solche Werbung leisten kannst.«
Timmi zuckte die Achseln. »Die hat das Arbeitsamt finanziert. Einstiegshilfe für Selbständige. Laura hat sie entworfen. Vielleicht kennst du sie, sie wohnt mit David zusammen, dem anderen in der Aphrodite. Ich finde, dafür, dass sie noch studiert, hat sie es ganz gut hingekriegt.«
»Ja. Aber ein Fahrrad passt hier nicht rein.«
»Ein Fahrrad schlauch passt rein«, bemerkte Simon.
»Ich hab sie in verschiedenen Größen. In diese passt ein Zahnkranz.«
»Aha.« Liebermann hob zögernd den Blick von den Tüten. Irgendetwas war mit ihnen, etwas, das mit einer blau-braunen Collage zu tun hatte. Er kam nicht drauf. »Wir waren bei Frank.«
»Wer ist Frank?«, raunte Simon.
»Der Betreiber einer Bar am Havelufer, unweit des Hausbootes, auf dem wir Constanze van Hoefen gefunden haben.«
»Na ja, das ist schon noch ein Stück entfernt«, sagte Timmi.
Liebermann ließ den Satz einige Sekunden lang im Raum stehen. »Du weißt, wo wir sie gefunden haben?«
Errötend murmelte Timmi etwas von Buschfunk.
»Hat dein Buschfunk zufälligerweise auch etwas über die Todesart des Mädchens verlauten lassen?«
Immer noch rot, schüttelte Timmi den Kopf. »Ich denke, wir waren bei Frank.«
»Richtig«, sagte Liebermann und zog seinen Block aus der Hosentasche. »Mach weiter.«
Nach ihrem Treffen vor dem Katinka, berichtete Timmi jetzt flüssig, habe er den Laden aufgeräumt, einen Reifen aufgezogen und seine Katzen gefüttert.
»War ein bisschen
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