Katzenmond
auf!«, sagte David. »Wir werden Serrano einfach im Auge behalten.«
»Ja«, murmelte Liebermann und packte Miris Hand fester. »Das sollten wir.«
Es war lange her, dass der Hauptkommissar und seine Tochter die Exklusivität eines Diners zu zweit genossen hatten. Unter anderem merkte Liebermann es daran, dass es ihnen an Gesprächsstoff mangelte. Miri beantwortete seine Fragen nach der Schule, Freundinnen und aktuellen Lieblingsspielen knapp und, wie er fand, etwas lustlos. Er konnte es ihr nicht verübeln. Gurkensalat und Knäckebrot mit Schmalzfleisch regten kaum zum Plaudern an. Dazu kam, dass seine Gedanken immer wieder abschweiften. Erst zu Nico und ihrer kalten Schulter und, als er dort nicht weiterkam, zu Timmi. Dann zu Vivian Kaiser und den Mails, Feldmeyers Ohr und endlich zu Serrano. Liebermann hatte kurz vor einem Infarkt gestanden, als der Kater plötzlich wie ein Fahrrad ohne Stützräder zur Seite gekippt war. Diabetes? Die Idee erschien ihm absurd. Er hatte bei Serrano nie den geringsten Hinweis auf eine Krankheit entdeckt. Dagegen war er dabei gewesen, als der Kater sich im vergangenen Mai dreimal hintereinander aus schwindelnden Höhen gestürzt hatte. Damals hatte er zunächst eine suizidale Veranlagung vermutet. Erst nachdem Serrano das dritte Mal neben ihm aufgeschlagen war, hatte er angefangen zu begreifen, dass die Sprünge eine Mitteilung enthielten. Die Interpretation dieser Mitteilung wiederum hatte Liebermann schließlich zum letzten Puzzlestein eines Falls geführt, in den auf makabre, aber aufschlussreiche Weise auch der Kater verwickelt gewesen war.
Doch hier lagen die Dinge anders: Damals war Serrano ihm einen Gefallen schuldig gewesen, zudem hatte er ein eigenes Interesse an der Aufklärung jenes Falls gehabt. Liebermanns Gedanken stockten. Auf leisen, stinkenden Sohlen kam eine Erinnerung aus dem Bau gekrochen. Oder vielmehr aus einer aufgewühlten Erdscholle, die mit Pflanzenresten vermischt war.Liebermann zog sie widerwillig ans Licht. Sie war schwarz, was für sich genommen wenig bedeutete, da die meisten seiner Erinnerungen recht dunkel waren. Aber um das Schwarz herum hingen Fetzen einer blauen Tüte. Langsam nervte ihn diese Tüte. Miri schob ihm mit steinerner Miene ein paar Fettbröckchen zu. »Die sind eklig. Ich will zu Zyra und Dienstag.«
Ach ja, Dienstag, diese kleine Höllenmaschine, um die musste er sich auch noch kümmern. Liebermann spießte ein Gurkenstück auf, merkte nicht, dass es wieder auf den Teller, fiel und biss schmerzhaft auf die Gabel. Während seine Zunge den Bestand seiner Zähne prüfte, arbeitete es in seinem Kopf weiter. Seine Beine dagegen setzten sich in Bewegung und brachten ihn vor die Pinnwand über seinem Schreibtisch, an der alte und neue Haftzettel wie Fischschuppen übereinanderklebten. Nach kurzer Zeit fanden Liebermanns Augen einen, der etwa zwei Wochen alt war.
Tote Katze im Park. Rattengift? Serrano.
Sein Kopf ergänzte: Tüte aus dem Fahrradgeschäft, Findelkatzen, Dienstag. Und wieder Serrano, der mit heraushängender Zunge auf dem Spielplatz lag. Die erdbehangene Erinnerung begann zu flackern wie eine überlastete Glühbirne. Katze. Schwarz. Steif. Sichtbare Verletzungen keine. Dafür ein ekelhafter Grind in den Maulwinkeln und heraushängende, dunkle Zunge. Tod durch Vergiftung war eine naheliegende Schlussfolgerung gewesen. Und von dort nur ein winziger Schritt zum Rattengift, dem traditionellen Feind allzu sorgloser Haustiere.
Als Liebermann den Zettel abnahm, fiel sein Blick auf die beiden daneben. Mit klammen Fingern löste er auch sie und überführte alle drei zum Tisch.
»Kann ich fernsehen?«, fragte Miri beleidigt.
Liebermann nickte, ohne die Frage verstanden zu haben. Seine Gedanken weilten bei Serranos heraushängender Zunge. Im Gegensatz zu der Toten vom Kompost war Serrano getigert, ansonsten hatte er eine exakte Kopie von ihr abgegeben. Offenbarbestand er hartnäckig darauf, dass Liebermann sich um sie kümmerte. Warum? Liebermann starrte auf die kurze Notiz des zweiten Zettels, den er als Sammler alltäglicher, wenn auch meist irrelevanter Fragen an die Pinnwand geheftet hatte.
Serrano vor der Aphrodite.
Liebermann hatte nicht den Ehrgeiz besessen, das unerwartete Auftauchen des Katers vor der Schule zu klären. Die Welt der Katzen entzog sich seiner Vorstellungskraft. Erst jetzt fragte er sich, ob es Zufall war, dass Serrano ihm die vergiftete Katze am selben Tag in Erinnerung gerufen hatte, an dem
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