Katzenmond
Tragische Geschichte, beinahe wie bei Romeo und Julia.«
Liebermann schloss die Augen. Weniger der Erinnerung an das tragische Liebespaar wegen als einiger Finger, die träge seinen Bauch hinabkrochen. »Bei Shakespeare«, murmelte er, »waren es zwei Selbstmorde.«
Die Finger gerieten ins Stocken. »Hier könnte es wenigstens einer sein, nämlich bei dem Mädchen. Sie hat einen Abschiedsbriefhinterlassen. Und ihr habt Kaisers Handy und Brille im Garten ihrer Schule gefunden.«
Mit geschlossenen Augen lächelte Liebermann. »Für diesen Schluss würde dich Oberkommissar Müller küssen. Oder hätte es jedenfalls getan«, schränkte er ein, »bis zur Vernehmung von Timmi.«
»Timmi? Blödsinn.«
»Verteidige ihn nicht, nur weil du ihn kennst«, warnte Liebermann. »Er hat alles, was man für einen Hauptverdächtigen braucht. Außer einer ordentlichen Reihenfolge. Man bringt erst die Freundin dessen um, den man mit ihrem Tod quälen will, und dann ihn selbst. Umgekehrt ist es sinnlos.«
»Es ist auch Blödsinn, weil Timmi in diesem Fall Kaisers Frau umgebracht hätte und nicht das Mädchen.«
»Warum? Eine tote Geliebte gegen eine tote Geliebte. Constanze war die aktuellere von beiden, was darauf hindeutet, dass er von der Trennung nichts wusste. Zudem kam er als Proband der Liebesschule wesentlich leichter an sie heran als an Frau Kaiser.«
Nico dachte eine Weile darüber nach. »Nein«, sagte sie bestimmt. »Timmi ist nicht der Typ für diese Art Mord. Möglich, dass er jemandem im Zorn eins über den Schädel zieht, auch wenn mir selbst diese Vorstellung schon einiges abverlangt. In meinem Beruf kommt man mit allen möglichen Leuten zusammen, da entwickelt man automatisch eine soziologische Ader.«
Liebermann gab ihrer Hand einen ermunternden Stups. Es brachte nichts.
»Zum Beispiel stelle ich oft ein erstaunliches Ungleichgewicht zwischen dem Äußeren und dem Wesen meiner Kunden fest«, fuhr Nico fort. »Ich habe kleine Mädchen gesehen, die in die Körper von Walküren eingenäht waren, Rambos, denen angesichts einer harmlosen Eröffnungswehe die Tränen kamen, und lächelnde Heilige, denen die Galle bis zum Hals stand. Timmisieht aus wie ein Gehilfe des Teufels, aber ich glaube, dass er im Grunde seiner Seele ein reiner Liebender ist. Vergiss nicht: Er hat zwei mutterlose Kätzchen aufgenommen.«
»Auch Hitler hatte Hunde«, gab Liebermann zu bedenken.
»Hunde«, schnaubte Nico. »Es gibt ja wohl einen himmelweiten Unterschied zwischen Leuten, die Hunde halten: devot und anhänglich, und Besitzern von Katzen: eigenwillig und stolz!«
»Und hinterhältig«, ergänzte Liebermann mit Blick auf den kleinen Schatten, der im Türspalt lauerte. Ab und zu, wenn ein Auto am Fenster vorbeifuhr, glommen zwei starre gelbe Lichtlein auf.
»Lass Dienstag aus dem Spiel! Kennst du irgendeinen Katzennarren in der Geschichte, der einen Krieg begonnen hat? Ich nicht. Timmi schlägt vielleicht mal zu, aber er verteilt keine Judasküsse. Du musst dich nach einem anderen umsehen. Was ist mit Kaisers Witwe? Theoretisch müsste die doch eure erste Verdächtige sein.«
»Sie hätte ein Motiv«, gestand Liebermann ein. »Ihr Alibi für letzten Mittwoch wankt. Und für gestern hat sie keins.«
Nico beugte sich über ihn. In Erwartung eines Kusses öffnete Liebermann die Lippen. Aber es passierte nichts, außer dass sie ihn forschend musterte. »Wo liegt dann das Problem?«
»Darin, dass die Witwe eher einem Hund als einer Katze gleicht. Sie hätte durchaus das Temperament, eine Konkurrentin aus dem Weg zu schaffen, aber wenn, dann nur, um ihren Mann zu behalten. Aus diesem Grund hat …« Liebermann brach ab, als der Schatten in der Tür zum Sprung ansetzte und quer durch den Raum auf sein Gesicht zuschoss. In letzter Sekunde warf Nico sich davor. Ein Schrei, und das Geschoss trat greinend den Rückzug an.
»Da!«, rief Liebermann. »Siehst du, was für einen Satan du aufziehst?«
»Sei nicht albern!«, murmelte Nico, während sie ihren blutendenArm ins Licht hielt. »Er ist eben eifersüchtig. Du blockierst den Platz an meiner Seite. An den Abenden, an denen du unterwegs warst, durfte er sich nämlich in meine Halsbeuge kuscheln.«
Sie tupfte mit dem Betttuch über die Wundränder.
»Ich habe ihm immer gesagt, dass er nur ein Platzhalter ist. Aber da ich noch keinen Kurs in Katzensprache absolviert habe, hat er mich offenbar missverstanden.« Sie ließ den Arm sinken. Beim Anblick des gezackten Risses auf Nicos Haut
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