Katzenmond
schlug Liebermanns Groll auf den Kater in kalte Wut um.
»Schon gut«, sagte sie beschwichtigend. »Er hat nur seine Königin verteidigt.«
»Er hat sein Revier markiert!«
»Nenn es, wie du willst, aber versprich mir, ihn in Ruhe zu lassen.«
»Wenn er dich in Ruhe lässt.«
»Er wollte nicht an meinen Arm. Er wollte in dein Gesicht.«
Im Nebenzimmer randalierte der Kater. Liebermann sprang auf und schloss die Tür. Als er auf dem Rückweg am Nachttisch vorbeikam, streifte sein Blick die beiden Gräten, die er vorhin vom Laken geklaubt hatte. Er nahm sie nacheinander auf, hielt sie eine Weile stumm auf der Handfläche und legte sie zögernd zurück. »Ich fürchte, ich muss noch mal los.«
Nicos Miene verdüsterte sich. »Jetzt? Kann das nicht bis morgen warten?«
Liebermann beugte sich über sie und küsste sacht ihren Scheitel. »Das Gleiche habe ich Constanze van Hoefen gefragt, als sie mich gestern Abend anrief. Und heute Morgen war sie tot.«
Serrano stand kurz davor aufzugeben. Vergeblich die demütigende Darbietung auf dem Spielplatz und der selbstmörderische Posten, den er vor Liebermanns Vierrad bezogen hatte. Der Typ war einfach zu blockiert. Einen Moment lang war noch einmalHoffnung aufgeflackert, als Liebermann und seine Tochter vor Einbruch der Dämmerung über die Straße gehetzt waren. Doch nur, um gleich darauf im Haus von Liebermanns Freundin wieder zu verschwinden.
Während der Stunden danach nichts, außer dem seltsamen Phänomen, dass die Sonne sich nicht entschließen konnte, der Nacht zu weichen. Am Ende entschied sie sich für einen Kompromiss. Sie nahm das Licht, ließ aber ihre Wärme zurück, konserviert unter einer tief hängenden Wolkendecke. Auf einem Zweig über Serranos Kopf landete ein Tagpfauenauge.
Es saß immer noch dort, als sich die Tür neben dem Flieder öffnete und Liebermann mit flatternden Wechselhäuten herausstürzte. Noch ehe Serrano begriff, was vor sich ging, war er über die Straße.
Wenig später traf er Liebermann vor einem Haus wieder, das er aus persönlichen Gründen seit vier Monaten mied. Im Schutz einer Mülltonne beobachtete Serrano, wie er einige Worte gegen die Haustür sprach und kurz darauf von ihr verschluckt wurde.
Serrano blieb sitzen, bis sein Puls sich normalisiert hatte. Dann verließ er seinen Aussichtspunkt, um langsam zurückzuschlendern. Anscheinend hatte Liebermann am Ende doch noch einen hellen Moment gehabt. Jetzt hieß es – wieder einmal – abwarten.
Ralph staunte nicht schlecht, seinen Freund so spät am Abend vor der Tür zu finden. Er winkte ihn in den Flur, der so verrümpelt war wie je. »Lilly schläft schon. Möchtest du ein Bier?«
»Mir reicht eine Auskunft.«
»Um die Zeit? Du bist manchmal etwas wunderlich, Liebermann, hat dir das schon mal jemand gesagt?«
»Des Öfteren.«
»Na dann, schieß los.«
Liebermann fasste sich an die Stirn, damit die Gedanken beim Auspacken nicht durcheinanderfielen. »Vorhin habe ich in meinem Bett zwei Gräten gefunden. Nichts Besonderes, nur Abendbrotreste eines Katers«, fügte er hinzu, als Ralph die Stirn runzelte. »Aber sie haben mich plötzlich an ein Gespräch von letzter Woche im Katinka erinnert.« Liebermann sprach behutsam. Die Gedanken nicht verschrecken, ein Wort nach dem anderen, damit sie sich bei den Händen halten konnten. »Da war von einer Gräte die Rede, die Lilly beim Geburtstagsessen im Hals stecken geblieben ist.«
»Ach das«, sagte Ralph. »Wir haben sie mit einem Apfel wieder rausgekriegt.«
»Fand dieses Essen zufälligerweise in einer Gaststätte namens Möwe statt?«
Ralph schnaufte überrascht. »Genau. Nette Bedienung, durchschnittliche Küche. Und weiter?«
Bevor Liebermann seine nächste Frage stellte, drückte er seine Stirn ein weiteres Mal. »Es gibt zwei Dinge, die mich interessieren. Erstens, wann Lilly und du dort gegessen habt.«
»Und zweitens?«
»Das hängt von Ersterem ab.«
Ralph schüttelte den Kopf.
»Es ist wichtig«, drängte Liebermann. »Ich erkläre dir später, warum.«
»Das würde mich freuen. Also gut, lass mich nachdenken: Wir haben nachträglich getafelt, nämlich nicht am Geburtstag selbst, sondern erst am Mittwoch drauf, wie es auf dem Gutschein stand.«
»Ein Gutschein?«
»Ja. Wir haben ihm mit der anderen Geburtstagspost am Dienstag aus dem Briefkasten gefischt. Auf dem Umschlag war ein Aufkleber mit einer Torte. Bisschen kitschig, wahrscheinlich war’s eine von Lillys Shiatsu-Kundinnen. Auch weil eine
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