Katzenmond
das sie nie gesehen hatte, stellte sie den Inbegriff von Anmut und Schönheit dar. Aber dort würde ihr niemand Kälteempfindlichkeit glauben, und kein Mensch würde seine Börse für sie bis auf die letzte Münze leeren, wie es ihre Frau getan hatte. Wu mochte die Frau. Sie fand, dass sie sich ähnelten. Die eine wie die andere ging ihrer Wege, ohne sich beirren zu lassen, beide regierten sie über ein weibliches Volk und waren durchdrungen von ihrer Bestimmung.
Wu huschte die Treppe in den ersten Stock hinauf und durch eine angelehnte Tür. Dahinter befand sich der Gemeinschaftsraum mit der Sitzecke, einem Lieblingsplatz der vier Katzen. DiePerserinnen verkehrten auch unter der Woche hier, Wu nur an den Wochenenden, wenn die Schülerinnen der Frau das Haus mit unbestimmtem Ziel verließen. Ihr Stammsitz war eine gepolsterte Bank unter einer Palme. Wenn sie dort lag, gelang es ihr manchmal, sich in jene unbekannte Heimat zu träumen, von der ihre Mutter behauptet hatte, dass Katzen wie sie dort an jeder Straßenecke herumlungerten, eine schöner als die andere.
Wu rollte sich zusammen und schloss die Augen. Nach einer Weile öffnete sie sie wieder. Sie veränderte ihre Position. Es half nichts. Durch ihre Gedanken spukte der Einohrige. Er war in einer Mission unterwegs, und er würde dranbleiben, so etwas roch sie einen Kilometer gegen den Wind. Mit ihm zu koalieren kam nicht in Frage. Sinnlos, einem Kater etwas erklären zu wollen. Allein die Tatsache, dass er sich an Esteban festgebissen hatte, bewies das hinlänglich. Wu merkte, wie sie sich verspannte. Lockern, atmen, lächeln – so lehrte es die Frau ihre Zöglinge. Es wirkte. Aber nur kurz, denn dann ging Wu auf, was ihr am meisten zu schaffen machte. Nicht der Einohrige, auch nicht der Hund – über den würde sie noch einmal gesondert nachdenken –, sondern der Schatten.
Er war bis jetzt vier Mal da gewesen, immer nachts und immer am Wochenende, wenn Esteban nicht da war. Beim ersten Mal hatte Dahlia ihn nur als Bewegung im Spalt zwischen dem Zwinger und dem Zaun zum Nachbargrundstück wahrgenommen. In heller Panik war sie ins Haus geflohen. Nach einigen Tagen Ruhe, als die Perserinnen sich endlich wieder hinausgewagt hatten, dasselbe. Diesmal auf der anderen Seite, die an das Grundstück der Trächtigen grenzte. Dann zwei Mal in der Nähe des Pavillons. Bei dieser letzten Gelegenheit hatte auch Wu ihn gesehen und beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Die Furcht der Perserinnen nahm langsam phobische Züge an. Schon drückten sie sich abends nur noch an der Terrasse entlang, wenn sie das Haus überhaupt verließen, oder hingen an Esteban unddamit in unmittelbarer Nähe der Lüstlinge, das konnte sie nicht zulassen. Und jetzt kam dieser Kater und mischte sich wegen seiner Deppen in ihre Geschäfte ein. Auch das war etwas, was sie nicht hinnehmen konnte.
Liebermann erwachte um kurz nach zehn allein in Nicos Bett.
Als er auf der Suche nach Gesellschaft und den Mädchen durch die Wohnung streifte, fand er sie verlassen. Nur sein pelziger Widersacher rollte im Kampf mit einem Plüschhasen durch das Kinderzimmer. Verwirrt ging Liebermann in die Küche, um sich einen Kaffee zu kochen. Am Kühlschrank klebte eine Karte. Sie enthielt die mit bunten Blumen dekorierte Botschaft, dass die Damen des Hauses außerhalb frühstückten. Die Karte in der Hand, ließ Liebermann sich auf den nächsten Stuhl sinken.
»Warum haben sie mich nicht mitgenommen?«, fragte er Dienstag, der, den Hasen am Nacken hinter sich herschleifend, in die Küche kam. Der Kater funkelte ihn an und schleppte seine Beute unter die Spüle, von wo alsbald das Geräusch reißenden Gewebes zu hören war. Liebermann schlurfte seufzend zurück ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
Eine Viertelstunde später traf er vor dem Katinka auf Jürgen, der mit einem Scheuerlappen Tische abwischte. Nein, Nico hatte sich nicht blicken lassen, ob er einen Kaffee wolle? Liebermann lehnte ab und ging über die Straße, um in der kleinen Eckkneipe gegenüber dem Katinka nachzusehen. Erfolglos. Seine Verwirrung wuchs. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Nico vergessen haben sollte, ihm das Ziel ihres Frühstücksausflugs aufzuschreiben.
Ergo war es Absicht, zumal sie nicht ans Handy ging. Aber das ergab keinen Sinn. Frustriert kehrte Liebermann in der nächsten Bäckerei ein und kaufte einen Berg Brötchen. Bei seiner Rückkehr stellte er fest, dass Dienstag seinen Kampf gegen denPlüschhasen
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