Katzenmond
sich längs der Reling in verschiedenen Richtungen um den Aufbau herumzufädeln.
Am Bug trafen sie sich wieder. »Verriegelt«, sagte Frank.
»Dito. Wie gut kennst du den Inhaber des Boots?«
Frank zuckte die Achseln. »Ich weiß nur, dass er Bilder malt. Wenn er nicht gerade seinen Schnapsvorrat auffrischen musste, hat er sich hier verschanzt und ein Halteverbotsschild vor die Tür gestellt. Seit einer Weile ist es weg. Vielleicht hat er den Kahn verkauft, oder er ist …« Er machte eine Geste. »Du glaubst auch nicht mehr an einen Hund, stimmt’s?«
»Ich glaube alles und nichts«, antwortete Liebermann diplomatisch. »Was ich aber weiß, ist, dass unser Internist entweder tot bei Nacht und Nebel hier zur Havel geschafft worden ist oder seine letzte Mahlzeit hier in der Nähe verzehrt hat, um dann ebenfalls hier in der Nähe auf seinen Tod zu warten. Und dafür fallen mir nicht allzu viele Plätze ein.«
An Land empfing Maren sie wie Heimkehrer einer Marsmission. Liebermann überließ sie Frank und warf einen überflüssigen Blick auf sein Handy, ehe er sich auf den Weg zum Segelclub machte. Während ihrer Bootsbesichtigung waren Wolken aufgezogen, und die Möwen reagierten darauf mit hektischem Geschrei. Alles in allem schien es Liebermann kein gutes Zeichen.
10
Serrano hatte mehr als die Frist zwischen zwei Glockenschlägen damit zugebracht, die vier versehrten Revierkater aufzusuchen. Ihre Berichte ähnelten sich, Unterschiede gab es nur in der Art ihres Erzählens. Scheu, beinahe beschämt die des Halbstarken, dessen Wunde in der Weiche schon fast verheilt war. Der Knöterich dagegen spuckte beim Sprechen, verhaspelte sich und präsentierte Serrano stolz einen eiternden Riss am Hals, in dem eine Fliege gerade zu Mittag aß. Nach ein paar Fragen, die er mehrfach stellen musste, weil sie dem Knöterich zu hoch waren, verließ Serrano ihn resigniert. Die schwärende Wunde schien sich bereits in dessen Kopf vorgearbeitet zu haben.
Denkwürdig dagegen war der Besuch bei dem Kater, dem der Hinterhältige das Ohr weggerissen hatte. Seine Geschichte offenbarte im Grunde nichts Neues, bis auf ein einziges, dafür wesentliches Detail: Der Ohrlose behauptete, vor dem Angriff einen Schatten gesehen zu haben. Ihre eigentliche Bedeutung erhielt diese Auskunft jedoch erst durch eine andere: Jener Schatten hatte sich vor dem Zaun aufgehalten, während hinter dem Zaun ein Hund gebellt hatte, der Stimme nach ein riesiges Vieh. Vorsichtshalber hatte Serrano sich die Geschichte wiederholen lassen. Es lief auf dasselbe hinaus, Bellen hinter dem Zaun und eine Sekunde später ein Brennen in der Seite und der Abschied vom Ohr. Danach wurde der Bericht des anderen vage. Erst hatte der Schock, dann das Blut ihm die Sicht vernebelt. Als er wieder sehen konnte, war er schon zu Hause gewesen.
Nachdenklich kehrte Serrano unter seinen Flieder zurück, um Rat bei Bismarcks Geist zu suchen. Bevor er durch den Zaun schlüpfte, dachte er an die Dürre und ihr plattes Gefolge. Auch über sie würde er nachdenken müssen. Und über ihren Hund,der vielleicht tatsächlich harmlos war, wie die Exoten behaupteten. Oder aber cleverer als sie alle zusammen.
Nachdem er minutenlang durch Reihen aufgebockter Boote geirrt war, kam Liebermann an einen langgestreckten Bungalow. Die erste Tür war verschlossen. Die zweite, an der Längsseite, führte in einen Flur, in dem Rettungsringe an einer Hakenleiste auf die potentiellen Gefahren des Segelsports hinwiesen. Von dort gelangte er in einen größeren Raum, wo zwei Männer an einem Tisch über einer aufgefalteten Karte hockten. Neben ihnen standen Tassen und eine Kanne.
Mit unbewegten Mienen studierten sie Liebermanns Ausweis, bevor der Ältere der beiden aufstand und wortlos eine weitere Tasse holte. Wie sich herausstellte, saß er im Vorstand des Segelvereins, der andere war sein Schwager.
Klar hatten sie von der Leiche gehört. In diesen Breiten besaßen Wasserleichen, wie der Vorstand nicht ohne Stolz bemerkte, Tradition. Erst vorletzten Winter war einer durchs Eis gebrochen, drüben, vor Hermannswerder. In den beiden Wintern davor zwei Kinder, dann ging es eine Weile zurück bis ins Jahr 1986, wo ein Ausflugsdampfer eine junge Frau eingefangen hatte. »Mit Haaren bis zur Hüfte«, sagte der Vorstand trübe. »Sie sah aus wie eine Qualle.«
Als das Erinnerungskarussell quietschend bei einem Badeunfall im Jahr 1923 hielt, schwindelte Liebermann von all den rotierenden Toten. Er erwähnte
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