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Katzenmond

Katzenmond

Titel: Katzenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Anlauff
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gewonnen hatte. Durch Flur und Wohnzimmer zog sich eine Spur Schaumstoffflocken. Der Held selbst hockte zufrieden auf der Sofalehne. Unwillkürlich tastete Liebermann nach dem zentimeterlangen Kratzer unter seinem Auge.
    »Warte, bis du groß und drahthaarig bist«, sagte er. »Dann hast du ausgelacht. Sie werden dir Futter ins Schälchen werfen, und das war’s.« Der Kater linste ihn scheel an. »Und das setze ich dir auf meine persönliche Rechnung«, sagte Liebermann und wies auf seine Wunde. Nach einem grimmigen Blick, von dem er hoffte, dass Dienstag ihn verstand, und einem besorgten zur Uhr ließ er sich am Schreibtisch nieder. Die Zettel mit den Angaben zum Wirkungsverlauf des Beerengifts lagen noch an Ort und Stelle, aber wie ihm schien, andersherum. Unter seinem Gekritzel fand Liebermann einen mit Bleistift geschriebenen Satz:
    Du hättest mich fragen können.
    Liebermann runzelte die Stirn. Sollte etwa das der Grund für seine Einsamkeit sein? Woher sollte er wissen, dass Nico sich mit Giften auskannte? Doch im nächsten Moment fiel ihm ein, dass sie Hebamme war, an vierhundert Jahre alten Maßstäben gemessen, also gewissermaßen eine Hexe. Lächelnd machte er sich an die Dechiffrierung seiner Aufzeichnungen.
    Als er fertig war, lehnte er sich zurück, um sich den letzten Abend des Internisten zu vergegenwärtigen.
    Er sah Kaiser, so wie er ihn in Erinnerung hatte, nur weniger blau und behelfsmäßig bebrillt über einem Zanderfilet sitzen. Pause. Liebermann griff nach einem Bleistift und schrieb: Zander – Restaurant oder privat? Vorsichtshalber fügte er hinzu: Frau? Aus irgendeinem Grund kam es ihm unwahrscheinlich vor, dass ein Mann einen anderen zu Fisch, Salat und Nachtisch einlud. Oder ein Geschäftsessen? Er notierte sich auch diese Möglichkeit.
    Weiter: Der Nachtisch kommt – schon oder noch nicht mit den tödlichen Beeren versetzt? Eine Frage, die von der Beantwortungder vorherigen abhing, deshalb hielt Liebermann sich nicht lange daran auf. Kaiser isst, er merkt nichts, höchstens eine leichte Bitterkeit, die in der Süße der Tollkirschen und im Aroma der anderen Früchte untergeht, und einen pelzigen Belag auf der Zunge, den er mit Wein wegspült. Er unterhält sich mit seinem Mörder.
    Liebermann stoppte. Zum ersten Mal benutzte er diese Bezeichnung. Aber sie schien ihm richtig, deshalb beließ er es dabei.
    Etwa eine Viertelstunde nach dem Nachtisch Durstgefühl. Kaiser bestellt (oder bittet um) ein Glas Wasser. Es hilft nicht. Im Gegenteil, Durst und Erregung nehmen zu, Kaiser beginnt, nervös an Gegenständen herumzunesteln, dann zu fuchteln und unablässig zu reden, er fühlt sich erst beklommen, dann benommen, seine Finger zittern, ihm ist übel, sein Hals brennt, er wird aggressiv, kurz: Ihm ist ganz und gar nicht wohl.
    Falls er tatsächlich in einem Restaurant gesessen hätte, dachte Liebermann, wäre es jetzt höchste Zeit zu zahlen. Kaiser selbst ist dazu nicht in der Lage, sein Mörder übernimmt es für ihn. Bei einem privaten Essen hätte der Mörder noch Zeit. Laut Internet spielte sich das sichtbare Vergiftungsdrama in den vier Stunden nach Einnahme der Beeren ab. Die Opfer tobten, litten unter Halluzinationen, viele wurden abwechselnd von tränenlosen Wein- und Lachkrämpfen geschüttelt, litten nach einer Phase erotischer Verwirrung unter Verfolgungswahn oder glaubten, fliegen zu können. Liebermann hatte von Fällen gelesen, in denen Opfer mit wedelnden Armen aus dem Fenster gesprungen waren. Demnach war der Mörder während dieser Phase gezwungen, Kaiser unter Verschluss zu halten. Er schrieb: Wohin nach dem Essen? Wenn eines klar war, dann, dass der vergiftete Nachtisch und der Fundort der Leiche nicht allzu weit voneinander entfernt gewesen sein konnten. Für ein Auto war die Brücke an der Promenade unpassierbar. Liebermanns Hand begann über das Papier zu hetzen. Als sie fertig war, zitterte sie noch eineWeile nach. Ihm war heiß, und als er in den kleinen Spiegel über Nicos Schreibtisch blickte, fand er darin ein rotes, verschwitztes Gesicht. Das Gesicht eines Tollkirschenopfers, dachte er und notierte sich ein weiteres Wort: Zeugen. Ein solches Gesicht musste auffallen. Er schleuderte Dienstag, der sich in den Schnürsenkel seines rechten Schuhs verbissen hatte, auf den Teppich zurück und machte sich zum zweiten Mal an diesem Tag auf den Weg.
    Zu seiner Erleichterung fand Liebermann Frank schon vor Ort. Neben dem Barmann stand ein dickes, sportlich gekleidetes

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