Katzensprung
heutzutage? Ganz oder gar nicht, hat sie gesagt, sie würde auch jemand
anderen finden, der den Papa abgibt.«
»Und wie oft hast du Dienst?«
»Einen ganzen und zwei halbe Tage in der Woche, richtet sich nach
meinen Schichten.«
Olga sah zwei identische strubbelig blonde Babyköpfe mit blauen
Augen vor sich, ganz der Vater.
»Und du machst alles? Wickeln, füttern, das ganze Programm?«
»Das ganze Programm«, sagte er stolz. »Seitdem sie nicht mehr
stillt, mache ich alles allein. Einer links aufs Knie, der andere rechts, die
Fläschchen gebe ich über Kreuz. Das klappt besser als bei der Mutter. Carl und
August heißen sie, ich durfte die Namen mit aussuchen.«
Olgas Wut schwoll zu einer dunklen Masse an, und sie wollte
aufspringen, als ihr Handy klingelte. »Mama ruft an«, blinkte das Display. Sie
hatte zwei Tage nicht mit ihr gesprochen, sie musste drangehen und hörte Lenkas
plärrende Stimme schon, bevor sie den Knopf drückte.
»Olgiza, was ist mit dir, warum meldest du dich nicht? Ich mach mir
Sorgen, Kind, ich denke immer, du fällst deine Ganove in die Hände.«
»Die fallen höchstens mir in die Hände, Mama. Alles okay, mir geht’s
super.«
»Ich habe Sarma gemacht, Schatz, ganze große Topf ist voll. Willst
du nicht schnell vorbeikommen?«
Olga sah Max fragend an und machte Essbewegungen mit der Hand. Er
nickte.
»Ich bringe Max mit, den kennt ihr ja noch nicht.«
»Aber sicher, Liebling, kommt schnell, bevor kalt ist.«
Olga entwand sich Max’ Händen und sprang aus dem Bett, er folgte
widerwillig. Während sie sich anzogen, hörten sie aus der Küche seltsame Töne,
eine auf- und abjammernde Männerstimme, dazwischen beruhigendes Murmeln. Olga
steckte den Kopf durch die Tür. Am Tisch saß ihre Mitbewohnerin Tülay, die
einen vornübergeneigten breiten Männerrücken streichelte und auf Türkisch auf
ihn einsprach. Der Rücken gehörte ihrem älteren Bruder Hakan, der haltlos in
seine Hände schluchzte.
Tülay stand auf, als sie Olga sah, und kam in den Flur.
»Hilde ist in Izmir«, flüsterte sie, »jetzt ist es endgültig. Statt
froh zu sein, heult er sich die Augen aus dem Kopf, der Depp.«
»Ich habe auch interessante Neuigkeiten«, tuschelte Olga zurück,
»das zieht dir die Schuhe aus. Ich erzähle es dir später.«
Ein gelber Halbmond ging über dem Hombüchel auf, als sie aus dem
Haus traten, und tauchte die schnurgerade, steil abfallende und wieder
ansteigende Schlucht aus schäbigen Gründerzeit- und Fünfziger-Jahre-Fassaden in
sahniges Licht. Der Abend war ungewöhnlich mild für Ende September, nachdem es
seit Wochen wie aus Eimern geschüttet hatte. Trotz ihrer High Heels legte Olga
einen sportlicheren Schritt vor als Max, dem sie gerade bis zur Schulter
reichte.
Sie beschloss, den Schock mit den Zwillingen erst mal für sich zu
verdauen, und lenkte um auf das jahrelange Ehedrama Hakans, der einen
Lebensmittelladen mit angeschlossenem Stehcafé am Fischertal betrieb. Vor
fünfundzwanzig Jahren hatte er die Wuppertalerin Hilde geheiratet und mit ihr
zwei Kinder bekommen. Sie waren fast erwachsen und im Begriff, aus dem Haus zu
gehen, als Hilde sich vor zwei Jahren während eines Türkeiurlaubs in einen
Cousin von Hakan und Tülay verliebte. Der Schock für Hakan war groß, er war
tief in seiner Männerehre gekränkt und hatte um Hilde gekämpft. Sie fühlte sich
lange hin- und hergerissen, nun war sie wohl endgültig zu Ahmet gegangen, der
in der Nähe von Izmir in einem Haus am Meer lebte.
»Hilde ist ein egoistisches blondes Monster«, sagte Olga, »die lässt
sich gerne bedienen und will immer nur am Strand liegen. Er soll froh sein,
dass er sie los ist.«
Sie sprinteten bis zur Schusterstraße, dort besaßen Olgas Eltern
Lenka und Slatko Popovich ein Mietshaus. Aus ihrer Wohnung im dritten Stock
lärmte wilde Musik, das Treppenhaus durchzog ein köstlicher Duft.
»Hallo, meine Schatz, herzlich willkommen, auch junge Mann, alle
herein, herein!«
Lenka stand strahlend und mit ausgebreiteten Armen in der Tür. Sie
trug ein beiges Hemdblusenkleid und hatte frischen Lippenstift aufgelegt, die
roten Haare saßen wie immer tipptopp. Hinter ihr fiedelte Slatko in rasendem
Tempo auf der Zigeunergeige. Er setzte ab und hielt ihnen die Sliwowitzflasche
entgegen.
»Das ist Max«, sagte Olga, »mein Kollege. Er darf nichts trinken, er
hat gleich Nachtdienst.«
Sie warf Max einen bösen Blick zu, nahm ihrem Vater die Flasche ab
und stellte sie auf Lenkas weiß lackierte
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