Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Ramadhin schloss daraus, dass ihn sein Schicksal ereilt hatte und nicht etwa wir ihn ermordet hatten, indem wir den Hund an Bord gebracht hatten. Und da das kleine Tier nie wieder gesehen wurde, glaubten wir am Ende, der eingeschmuggelte Hund wäre ein Gespenst gewesen.
Beim Mittagessen drehten sich die meisten Fragen darum, wie der Hund an Bord gelangt sein konnte. Und wo er sich nun befinden mochte. Miss Lasqueti war der festen Überzeugung, dass der Kapitän in ernsthaften Schwierigkeiten steckte. Er konnte wegen Fahrlässigkeit vor Gericht gebracht werden. Dann kam Emily an unseren Tisch und wollte wissen, ob wir den Hund an Bord gebracht hatten, und wir erwiderten die Frage mit dem Versuch, entsetzt auszusehen, worauf sie lachen musste. Der einzige, der sich für all das überhaupt nicht interessierte, war Mr. Mazappa, der über seiner Ochsenschwanzsuppe brütete. Seine musikalischen Finger bewegten sich ausnahmsweise nicht auf dem Tischtuch. Er wirkte mit einemmal unnahbar und wortkarg, und während des ganzen Essens beobachtete ich ihn und achtete kaum auf das Gerede und die Mutmaßungen über Sir Hector. Mir fiel auf, dass Miss Lasqueti ihn ebenfalls beobachtete, gesenkten Kopfs und durch das Gitter ihrer Wimpern. Irgendwann legte sie sogar die Hand auf seine reglosen Finger, doch er entzog seine Hand. Nein, der Aufenthalt in den engeren Grenzen des Roten Meers war nicht für alle an unserem Tisch eine unbeschwerte Zeit. Vielleicht fühlten wir uns nach all der Freiheit der ungebändigten Ozeane, die wir überquert hatten, auf einmal eingesperrt. Und den Tod gab es schließlich doch oder zumindest eine komplizierte Art von Schicksal. Es sah aus, als schlössen sich allmählich Türen, als fänden unsere abenteuerlichen Reisen ihr Ende.
ALS ICH AM NÄCHSTEN MORGEN ERWACHTE , verspürte ich nicht wie sonst den Wunsch, mit meinen Freunden zusammenzusein. Ich hörte Ramadhins vertrautes Klopfen, antwortete aber nicht. Statt dessen ließ ich mir beim Anziehen Zeit und ging dann allein zum Deck hinauf. Das Wüstenlicht leuchtete seit Stunden, und gegen halb neun Uhr passierten wir Jiddah. Auf der anderen Seite des Schiffs versuchten Passagiere mit dem Fernglas einen Blick auf den Nil tief im Landesinneren zu erhaschen. An Deck waren nur Erwachsene, niemand, den ich kannte, und ich kam mir verlassen vor. Ich versuchte mich an die Nummer von Emilys Kabine zu erinnern und ging hin, obwohl Emily keine Frühaufsteherin war.
Emily mochte ich am liebsten, wenn keine anderen Leute zugegen waren. In solchen Augenblicken hatte ich immer das Gefühl, etwas von ihr zu lernen. Ich klopfte mehrmals, bevor sie im Morgenmantel öffnete. Es war inzwischen etwa neun Uhr. Ich war seit Stunden wach, aber sie war noch im Bett gewesen.
»Ach, Michael.«
»Kann ich reinkommen?«
»Ja.«
Und sie stakste zurück und schlüpfte unter die Bettdecke, wobei sie gleichzeitig den Morgenmantel auszog, beides auf einmal, wie es schien.
»Wir sind immer noch im Roten Meer.«
»Ich weiß.«
»Wir sind an Jiddah vorbeigekommen. Ich habe es gesehen.«
»Wenn du hierbleiben willst, mach doch Kaffee, ja?«
»Willst du eine Zigarette?«
»Noch nicht.«
»Wenn du eine willst, darf ich sie dann anzünden?«
Ich blieb den ganzen Vormittag bei ihr. Ich weiß nicht, warum mich alles so verwirrte. Ich war elf. In dem Alter weiß man nicht viel. Ich erzählte ihr von dem Hund und davon, wie wir ihn an Bord gebracht hatten. Ich lag neben ihr auf dem Bett, hielt eine ihrer unangezündeten Zigaretten in der Hand und tat so, als rauchte ich, und sie streckte die Hand aus und drehte meinen Kopf zu sich.
» Tu es nicht «, sagte sie. »Erzähl niemals irgend jemand anders von dem … was du mir eben erzählt hast.«
»Wir glauben, er könnte ein Gespenst gewesen sein«, sagte ich. »Das Gespenst aus dem Fluch.«
»Das ist mir egal. Du darfst nie wieder darüber reden. Versprich es mir.«
Ich versprach es.
So begann eine Tradition zwischen uns. Die darin bestand, dass ich hin und wieder Emily von Dingen erzählte, die ich niemand anders sagte. Und später in unserem Leben, viel später, erzählte sie mir von dem, was sie durchgemacht hatte. Mein ganzes Leben lang blieb Emily jemand, der sich von allen anderen, die ich kannte, unterschied.
Sie berührte mich mit einer Geste am Scheitel, die alles in allem besagte: »Ach, lass es auf sich beruhen. Mach dir keine Gedanken.« Doch ich wendete mich nicht ab, sondern sah sie an.
»Was
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