Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Tag vor der Ankunft wurden geschäftig Briefe geschrieben. Es war üblich, die Post in Aden abstempeln zu lassen und sie von dort zurück nach Australien und Ceylon oder weiter nach England schicken zu lassen. Jeder von uns sehnte sich nach einem Blick aufs feste Land, und in der Morgendämmerung reihten wir uns am Bug auf, um zu sehen, wie die altehrwürdige Stadt wie eine Luftspiegelung aus dem Bogen staubiger Berge näher rückte. Aden sei schon im siebten Jahrhundert vor Christus ein bedeutender Hafen gewesen und werde im Alten Testament erwähnt. Es sei der Ort, wo Abel und Kain begraben wurden, sagte Mr. Fonseka, der uns über die Stadt informierte, die er selbst nie gesehen hatte. Sie besitze in vulkanisches Gestein gehauene Zisternen, einen Falkenmarkt, ein Oasenviertel, ein Aquarium, einen Bereich, wo Segel hergestellt wurden, und Läden mit Waren aus allen Winkeln der Erde. Zum letztenmal würden wir asiatischen Boden betreten. Von Aden aus war es nur noch ein halber Tag bis zum Roten Meer.
Die Oronsay drosselte ihre Maschinen. Wir legten nicht am Kai an, sondern in Steamer Point, dem äußeren Hafen. Die Passagiere, die an Land gehen wollten, konnten sich mit Lastkähnen zur Stadt fahren lassen, und solche Kähne warteten bereits neben unserem Schiff. Es war neun Uhr morgens, und ohne die gewohnte Meeresbrise war die Luft heiß und drückend.
Am Morgen hatte der Kapitän die Vorschriften für den Stadtbesuch erläutert. Den Passagieren waren sechs Stunden Landgang erlaubt. Kinder durften nur in Begleitung eines »vertrauenswürdigen männlichen Erwachsenen« an Land. Frauen war es überhaupt nicht gestattet. Das rief erwartungsgemäß helle Empörung hervor, vor allem bei Emily und einer Gruppe ihrer Freundinnen am Schwimmbecken, die in die Stadt fahren wollten, um die Einheimischen mit ihrer Schönheit zu beeindrucken. Und Miss Lasqueti war verärgert, weil sie die Falken dieser Gegend studieren wollte. Sie hatte gehofft, ein paar der Vögel mit Haube auf dem Kopf auf das Schiff zu schmuggeln. Cassius, Ramadhin und mir war vor allem daran gelegen, einen männlichen Erwachsenen als Begleiter zu finden, der nicht vertrauenswürdig war, den man leicht ablenken konnte. Mr. Fonseka hatte trotz seiner Neugier nicht die Absicht, das Schiff zu verlassen. Doch dann erfuhren wir, dass Mr. Daniels unbedingt die alte Oase besuchen wollte, um ihre Vegetation zu studieren, von der er behauptete, die Grashalme seien dort überaus saftig und so dick wie ein Finger. Er interessierte sich auch für etwas, was khat hieß und worüber er sich mit dem Ayurveda-Mann unterhalten hatte. Wir boten an, ihm Pflanzen zum Schiff tragen zu helfen; er war einverstanden, und wir kletterten mit ihm so geschwind wie nur möglich die Strickleiter zu einem der Kähne hinunter.
Unversehens befanden wir uns mitten in einer neuen Sprache. Mr. Daniels war damit beschäftigt, den Betrag auszuhandeln, für den ein Ochsenkarren uns dorthin fahren sollte, wo die großen Palmen standen. In der Menschenmenge schrumpfte seine Autorität, und wir ließen ihn allein verhandeln und machten uns davon. Ein Teppichverkäufer winkte uns zu sich, bot uns Tee an, und wir saßen eine Zeitlang bei ihm, lachten, wenn er lachte, nickten, wenn er nickte. Es gab einen kleinen Hund, den er uns schenken wollte, wie er uns zu verstehen gab, doch wir wanderten weiter.
Wir konnten uns nicht einigen, was wir besichtigen wollten. Ramadhin wollte das Aquarium besuchen, das einige Jahrzehnte zuvor angelegt worden war. Offenbar hatte Mr. Fonseka ihm davon erzählt. Er maulte, weil er zuerst den Markt besuchen musste. Aber wir betraten die engen Läden, in denen Samen und Nadeln verkauft, Särge getischlert und Landkarten und Broschüren gedruckt wurden. Draußen auf der Straße konnte man seine Kopfform deuten lassen oder sich im Handumdrehen Zähne ziehen lassen. Ein Barbier schnitt Cassius die Haare und stocherte ihm schnell mit einer gefährlich aussehenden Schere in den Nasenlöchern herum, um jeglichen Haarwuchs in der Nase eines Zwölfjährigen zu vereiteln.
Ich war an das üppige Chaos von Colombos Pettah-Markt gewöhnt, an die Gerüche von Sarongstoffen, die entrollt und geschnitten wurden (ein betäubender Sinneseindruck), von Mangostanfrüchten und von regendurchweichten Taschenbüchern am Bücherstand. Die Welt hier war karger, weniger prachtvoll. Es gab kein überreifes Obst in den Rinnsteinen. Es gab nicht einmal Rinnsteine. Es war eine staubige Landschaft
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