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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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zum Essen hinaufgegangen waren.
    Wir hörten am Katzentisch den Geschichten der anderen zu, die sich gegenseitig ins Wort fielen. Die Frauen schwiegen. Und wir drei. Emily kam an unserem Tisch vorbei und beugte sich zu mir, um mich zu fragen, ob ich einen schönen Tag verbracht hätte. Ich fragte sie höflich, was sie unternommen habe, während wir an Land waren, und sie sagte, sie habe sich die Zeit damit vertrieben, »Dinge herumzutragen«, und dann zwinkerte sie mir zu und ging lachend weiter. Was wir verpasst hatten, als wir in Aden waren, war der »Gully-Gully-Mann«, der zur Oronsay gerudert war und seine Zauberkunststücke vorgeführt hatte. Allem Anschein nach war sein Boot teilweise mit Brettern ausgelegt, so dass er eine Art Bühne hatte, auf der er stehen konnte, wenn er Hühner aus seiner Kleidung hervorzauberte. Gegen Ende seiner Darbietung flatterten mehr als zwanzig Hühner um ihn herum. Wir erfuhren, dass es viele Gully-Gully-Männer gab, und wenn wir Glück hatten, würden wir in Port Said einen zu sehen bekommen.
    Beim Dessert erbebte das Schiff auf einmal, als seine Maschinen in Gang gesetzt wurden. Wir standen alle auf und gingen an die Reling hinaus, um die Abfahrt zu erleben, und allmählich entfernte sich unser Schloss von der dünnen Lichterlinie am Horizont zurück in die große Dunkelheit.

 
     
     
    IN DIESER NACHT BEWACHTEN WIR DEN HUND . Unsere abrupten Bewegungen erschreckten ihn, bis es Ramadhin gelang, ihn in seine Koje zu bringen, wo er mit dem Hund in den Armen einschlief. Als wir drei am nächsten Morgen erwachten, befanden wir uns schon im Roten Meer, und während dieser Passage, am ersten Tag, als es nach Norden ging, ereignete sich etwas Erstaunliches.
    Es war immer ein schwieriges Unterfangen, die Grenze zu überschreiten, die uns von der ersten Klasse trennte. Zwei höfliche, aber entschiedene Stewards ließen einen entweder durch oder wiesen einen ab. Doch nicht einmal sie konnten Ramadhins kleinen Hund aufhalten. Er sprang aus Cassius’ Armen und flitzte aus der Kabine. Wir rannten die leeren Gänge entlang und suchten ihn. Innerhalb weniger Augenblicke muss der kleine Kerl im Sonnenlicht auf Deck B aufgetaucht sein, wo er an der Reling entlangrannte, vielleicht in den unteren Ballsaal und dann die vergoldete Treppe hinauf und vorbei an den zwei Stewards in die erste Klasse. Sie fingen ihn zwar ein, aber er befreite sich gleich wieder. Er hatte nichts von den Sachen gefressen, die wir in unseren Hosentaschen vom Abendessen in die Kabine geschmuggelt hatten; vielleicht war er hungrig und suchte etwas zum Fressen.
    Niemand konnte ihn einfangen. Einzelne Passagiere sahen ihn nur sekundenlang. An Menschen schien er kein Interesse zu haben. Gutgekleidete Frauen knieten sich hin und stießen spitze, affektierte Rufe aus, doch er raste ohne innezuhalten an ihnen vorbei und in die Kirschbaumhöhle der Bibliothek, hinter der er verschwand. Wie sollte man wissen, wonach er suchte? Oder was er fühlte in seinem sicherlich heftig pochenden Herzen? Er war nur ein hungriger oder furchtsamer Hund auf diesem beklemmend engen Schiff, dessen Korridore zu Sackgassen wurden, während er sich immer weiter von jeder Spur des Tageslichts entfernte. Zuletzt trottete das Tier einen mahagonivertäfelten und mit Teppichboden ausgelegten Gang entlang und schlüpfte durch eine halbgeöffnete Tür in eine Luxussuite, die gerade jemand mit einem vollen Tablett verließ. Der Hund sprang auf ein breites Bett, in dem Sir Hector de Silva lag, und verbiss sich in der Kehle des Mannes.

 
     
     
    DIE GANZE NACHT hatte die Oronsay sich in den geschützten Wassern des Roten Meeres befunden. Bei Tagesanbruch kamen wir an den kleinen Inseln vor der Küste von Jizan vorbei und konnten in der dunstigen Ferne die Oasenstadt Abha erahnen, wenn die Sonne ein Stück Glas oder eine weiße Wand zum Glitzern brachte. Dann zerfloss die Stadt im Sonnenlicht und entzog sich unseren Blicken.
    Bis zum Frühstück hatte sich die Nachricht vom Tod Sir Hectors schon über das ganze Schiff verbreitet, gefolgt von Gerüchten, dass er eine Seebestattung erhalten werde. In Küstengewässern waren solche Bestattungen aber offenbar nicht erlaubt, und der Leichnam musste bis zum offenen Mittelmeer warten. Es folgten die weit erstaunlichere Nachricht über die Art, wie er ums Leben gekommen war, und die Geschichte von dem Fluch, mit dem der buddhistische Priester ihn belegt hatte, die uns schon der Ayurveda-Mann erzählt hatte.

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