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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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ist?« Sie runzelte die Augenbrauen.
    »Ich weiß nicht, es kommt mir so komisch vor hier. Was passiert, wenn ich nach England komme? Bist du dann auch da?«
    »Du weißt, dass ich nicht dasein werde.«
    »Aber ich kenne dort niemanden.«
    »Und deine Mutter?«
    »Aber die kenne ich nicht, wie ich dich kenne.«
    »Doch, das tust du.«
    Ich legte meinen Kopf wieder auf das Kissen und blickte nach oben, nicht mehr zu ihr.
    »Mr. Mazappa sagt, ich wäre ein komischer Junge.«
    Sie lachte. »Du bist kein komischer Junge, Michael. Außerdem wäre das gar nicht so schlimm.« Sie beugte sich zu mir und gab mir einen Kuss. »Jetzt mach mir einen Kaffee. Da ist die Tasse. Du kannst warmes Leitungswasser nehmen.« Ich stand auf und blickte um mich.
    »Hier ist kein Kaffee.«
    »Dann bestell welchen.«
    Ich drückte den Knopf der Sprechanlage und betrachtete beim Warten das Foto der englischen Königin, die uns von der Wand aus beobachtete.
    »Ja«, sagte ich. »Kaffee für Kabine drei-sechs-null. Miss Emily de Saram.«
     
    Als der Steward kam, öffnete ich ihm die Tür, und als er ging, brachte ich Emily das Tablett ans Bett. Sie setzte sich auf, erinnerte sich dann an den Morgenmantel und langte nach ihm. Doch was ich sah, traf mich am Grund meines Herzens. Ein Beben erfüllte mich, etwas, was mir später natürlich erscheinen würde, in diesem Augenblick aber eine Mischung aus Erregung und Schwindelgefühl war. Auf einmal öffnete sich ein breiter Abgrund zwischen Emilys Leben und meinem Leben, und ich würde ihn nie überqueren können.
    Wenn ein Begehren in mir erwachte, woher kam es dann? Gehörte es zu jemand anders? Oder war es ein Teil von mir? Es war, als wäre aus der Wüste, die uns umgab, eine Hand ausgestreckt worden, die mich berührte. Das sollte mir im Lauf meines Lebens immer wieder auf verschiedene Art und Weise passieren, aber in Emilys Kabine erlebte ich es zum erstenmal. Doch woher kam es? Und war dieses Leben in meinem Inneren etwas Freudiges oder etwas Trauriges? Es war, als entbehrte ich damit etwas so Wesentliches wie Wasser. Ich stellte das Tablett ab und kletterte wieder auf Emilys hohes Bett. In jenem Augenblick war mir zumute, als wäre ich seit Jahren allein gewesen. Ich hatte zu vorsichtig mit meiner Familie verkehrt, als lägen ständig Glasscherben um uns herum verteilt.
    Und nun fuhr ich nach England, wo meine Mutter seit drei oder vier Jahren lebte. Ich weiß nicht mehr genau, wie lange sie schon dort war. Auch heute, nach all den Jahren, kann ich mich dieses nicht unbedeutenden Details, der Dauer unserer Trennung, nicht entsinnen, als gäbe es für mich wie bei einem Tier nur ein begrenztes Wissen von einer solchen Zeitspanne. Drei Tage oder drei Wochen sollen für einen Hund angeblich nicht zu unterscheiden sein. Aber wenn ich nach längerer Abwesenheit nach Hause komme, begrüßt mein Hund mich sofort höflich, wenn wir uns umarmen und auf dem Teppich im Eingang wälzen, doch als ich schließlich meine Mutter am Dock in Tilbury wiedersah, war sie schon »jemand anders« geworden, eine Fremde, der ich mich vorsichtig anschließen würde. Kein Umarmen oder Balgen wie mit dem Hund, kein vertrauter Geruch. Und ich glaube, das könnte seinen Grund in dem haben, was sich an jenem Morgen in der ockerfarbenen Kabine, abgeschlossen gegen das Gleißen des Roten Meers und die Wüste, die sich meilenweit landeinwärts erstreckte, zwischen Emily und mir – unseren entfernt verwandten Ichs – ereignete.
    Ich kniete auf Händen und Knien auf dem Bett und zitterte. Emily beugte sich vor und nahm mich in die Arme, so behutsam, dass ich ihre Berührung kaum spürte, eine Umhüllung aus weicher Luft zwischen uns. Die heißen Tränen, die meiner Trübsal entsprangen, wischten über ihren kühlen Oberarm.
    »Was hast du?«
    »Ich weiß nicht.« All die kleinen Requisiten, die ich notgedrungen zur Sicherheit um mich herum aufgebaut hatte, die mich umzäunt und geschützt und mich nach außen definiert hatten, waren nicht mehr vorhanden.
    Vielleicht sprachen wir daraufhin miteinander. Ich weiß es nicht mehr. Ich nahm die gelassene Ruhe um mich herum wahr und dass ich allmählich im gleichen sanften Rhythmus wie Emily atmete.
    Ich war wohl kurz eingeschlafen und wachte auf, als Emily, ohne sich wegzurühren, mit der freien Hand in einer Rückwärtsbewegung über ihre Schulter nach der Kaffeetasse griff. Und dann hörte ich sie schnell schlucken, mein Ohr an ihrem Hals. Ihre andere Hand hielt noch immer meine

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