Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Hand, wie ich es noch nie erlebt hatte, und überzeugte mich von einer Sicherheit, die es wahrscheinlich gar nicht gab.
Erwachsene rechnen immer mit einer allmählichen oder plötzlichen Abweichung in einer sich anbahnenden Geschichte. Wie der Baron sollte auch Mr. Mazappa unser Schiff in Port Said verlassen und aus unserem Leben verschwinden – in den Tagen vor unserer Ankunft in Aden hatte ihn irgend etwas überwältigt. Und Mr. Daniels sollte merken, dass Emily sich weder für ihn noch für sein Pflanzenuniversum interessierte. Und der Tod des Millionärs infolge des zweiten Hundebisses war eher tragisch als aufregend. Selbst unser glückloser Kapitän sollte im weiteren Verlauf der Reise noch mehr Chaos in seiner menschlichen Fracht entdecken. Als wären alle in gewisser Weise eingesperrt oder vom Schicksal gezeichnet gewesen. Aber ich hatte mich in jener Kabine zum erstenmal aus der Distanz gesehen, so wie die unbeteiligten Augen der jungen Königin mich den ganzen Morgen über betrachtet hatten.
Als ich Emilys Zimmer verließ (und diese Intimität zwischen uns sollte sich nie wiederholen), wusste ich, dass ich immer mit ihr verbunden sein würde, durch einen unterirdischen Fluss oder eine Kohlen- oder Silberader – sagen wir lieber Silber, denn sie ist mir immer wichtig gewesen. Im Roten Meer habe ich mich wahrscheinlich in sie verliebt. Doch als ich mich losriss, war das, was mich unwiderstehlich angezogen hatte, verschwunden, worin es auch bestanden haben mag.
Wie lange war ich mit Emily in dem Bett, das mir himmelhoch vorkam? Wenn wir uns sehen, sprechen wir nie darüber. Sie weiß vielleicht nicht einmal mehr, wieviel Kummer sie von mir genommen oder mit mir geteilt hat und für wie lange. Ich hatte nie die Umarmung eines Menschen gekannt oder den Geruch eines Arms, der gerade aus dem Schlaf aufgetaucht war. Ich hatte nie neben jemandem geweint, der mich außerdem auf eine Weise erregte, die ich mir nicht zu erklären wusste. Doch Verständnis muss in ihrem Blick gewesen sein, als sie zu mir hinuntersah, und in ihren höflichen kleinen Gesten.
Indem ich dies schreibe, wünsche ich mir, dass es weiterbesteht, bis ich es besser verstehen kann, auf eine Weise, die mich auch heute beruhigen könnte, so viele Jahre später. Wie weit beispielsweise reichte die Intimtät zwischen uns? Ich weiß es nicht. Emily nahm es nicht weiter wichtig, wie mir scheint. Sie bezeigte mir wahrscheinlich eine zufällige, wenn auch ungeheuchelte Freundlichkeit – und wenn ich das sage, schmälere ich ihre Geste keineswegs. »Du gehst jetzt besser«, sagte sie, stieg aus dem Bett, ging zum Badezimmer und schloss die Tür hinter sich.
Gebrochenes Herz, du
zeitloses Wunder.
Was für ein kleiner
Ort zum Leben.
»MEINE TRÄUME«, SAGTE EMILY und beugte sich über den Tisch, der zwischen uns stand. »Du würdest sie nicht kennen wollen, sie sind … ich stecke mitten in ihrer Finsternis, in unablässiger Gefahr. Wolken krachen laut gegeneinander. Kennst du das auch?«
Es war einige Jahre später in London.
»Nein«, sagte ich. »Ich träume selten. Glaube ich wenigstens. Vielleicht kommen sie als Tagträume zum Vorschein.«
»Jede Nacht träume ich, und beim Aufwachen habe ich Angst.«
Sonderbar an dieser Angst, fast war es ein Schuldgefühl, war Emilys unbeschwerter Umgang mit anderen Menschen untertags. Mir war, als gäbe es nie etwas Finsteres in ihr, sondern den Wunsch zu trösten. Wer oder was verursachte diese Finsternis in ihr? Bisweilen entstand ein Eindruck der Einsamkeit, wenn es den Anschein hatte, als sonderte sie sich von der Welt um sie herum ab. Zu diesen Zeiten war ihre Miene unergründlich. Eine Zeitlang gab es diese »Ferne« an ihr. Doch wenn sie sich einem wieder zuwendete, war es ein Geschenk.
Schon früh hatte sie Freude an Gefahren gezeigt. Sie hatte recht. Es war wie ein Joker, wie etwas, was eigentlich nicht ganz zu ihrem Charakter passte. Immer wieder konnte man Entdeckungen über sie machen, manche davon so geringfügig wie das Zwinkern auf dem Kai in Aden, als sie wollte, dass ich etwas erriet. Doch viel von ihrer Welt behielt sie für sich, wie ich später herausfinden sollte, lange nach unserer Zeit auf der Oronsay , und irgendwann habe ich begriffen, dass die Sanftmut, von der ich sprach, das natürliche Ergebnis eines Lebens in Verkleidung gewesen sein muss.
Hundezwinger
AM NÄCHSTEN MORGEN fand ich beim Erwachen Mr. Hastie noch im Bett vor, in einen Roman
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