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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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wechseln sehen. Die einzige Macht, die Emily hatte, war ihre Schönheit, ihre Jugend, wie ich vermute, und vielleicht noch etwas, dessen sie sich gar nicht bewusst war. Und er versuchte das mit Worten zu übertrumpfen oder, wenn Worte nichts fruchteten, mit dem schnellen Jonglieren eines herumliegenden Gegenstands oder mit einem schnellen Handstand auf einer Hand.
    Selbst wenn Emily nicht mit ihm zusammengewesen wäre, hätte er mich neugierig gemacht.

 
     
     
    ICH SUCHTE MIR EINEN PLATZ in gleicher Entfernung zu drei anderen Tischen im Speisesaal. An einem der Tische saß ein sehr großes Paar mit einem kleinen Kind; an dem zweiten saßen flüsternde Frauen und am dritten zwei ernste Männer. Ich hielt den Kopf gebeugt und tat so, als läse ich. Ich lauschte. Ich stellte mir vor, dass meine Ohren sich auf das Paar mit dem Kind richteten. Die Frau erzählte dem Mann von ihren Brustschmerzen. Dann fragte sie ihn, wie er geschlafen habe. Und er antwortete: »Keine Ahnung.« Am zweiten Tisch sagte eine der flüsternden Frauen: »Und dann habe ich ihn gefragt: ›Wie kann das ein Aphrodisiakum und gleichzeitig ein Abführmittel sein?‹ Und er hat gesagt: ›Na ja, das hängt alles nur vom Zeitpunkt der Einnahme ab.‹« Am dritten Tisch passierte gar nichts. Ich hörte wieder dem großen Paar mit dem Baby zu, einem Arzt und seiner Ehefrau. Er zählte irgendwelche Mittel auf, die sie einnehmen konnte.
    Ich lauschte überall, seit Miss Lasqueti gesagt hatte: »Ihr müsst Augen und Ohren offenhalten. Hier könnt ihr etwas lernen.« Und ich füllte weiterhin mein altes Schulheft vom St. Thomas College mit den Dingen, die ich zu hören bekam.

SCHULHEFT: BELAUSCHTE GESPRÄCHE,
ZWÖLFTER BIS ACHTZEHNTER TAG
    »Glauben Sie mir – man kann Strychnin schlucken, man darf es nur nicht kauen.«
    »Jasper Maskelyne, der Zauberer, hat im Krieg die ganzen ›Täuschungsmanöver‹ in der Wüste inszeniert. Nach dem Krieg ist er dann richtiger Zauberer geworden.«
    »Madame, es ist strengstens verboten, Gegenstände über die Reling zu werfen.«
    »Er ist einer der schlimmsten Schürzenjäger hier auf dem Schiff. Wir nennen ihn ›das Drehkreuz‹.«
    »Wir können den Schlüssel nicht von Giggs holen …« »Dann müssen wir ihn eben von Perera holen.« »Aber wer ist Perera?«

 
     
     
    DIE PASSAGIERE AM KATZENTISCH betrauerten immer noch Mr. Mazappas Entschwinden, und deshalb veranstaltete Mr. Daniels ein improvisiertes Abendessen für sie und für einige ausgewählte weitere Gäste. Ich sollte Emily einladen, und sie fragte, ob sie ihre Freundin Asuntha mitbringen dürfe. Emily schien das taube Mädchen mehr und mehr unter ihre Fittiche zu nehmen. Der ayurvedische Heiler, seit Hector de Silvas Tod ohne rechte Funktion, wurde ebenfalls eingeladen. Man sah ihn oft mit Mr. Daniels in angeregtem Gespräch über das Deck wandeln.
    Wir versammelten uns im Turbinenraum und kletterten dann einer nach dem anderen die Eisenleiter in die Dunkelheit hinunter. Nur Ramadhin, Cassius und ich und der Ayurveda-Mann hatten diesen Ausflug zu dem »Garten« schon gemacht, doch die übrigen hatten keine Ahnung, wohin es ging, und murmelten wie im Selbstgespräch. Als wir am Boden des Schiffs ankamen, eilte Mr. Daniels vor uns in die hohlklingende, geheimnisvolle Welt des Laderaums davon. Leises Lachen erklang, als wir an dem Wandbild mit den nackten Frauen vorbeikamen. Cassius kannte es inzwischen auswendig. Eines Tages war es ihm gelungen, allein in den Frachtraum zu gelangen, und er hatte eine Kiste vor das Fresko geschoben und sie erklommen, so dass er sich auf gleicher Höhe wie die riesigen Körper befand. Den ganzen Nachmittag hatte er dort in dieser Position im Halbdunkel verbracht.
    Mr. Daniels bedeutete uns, ihm zu folgen, und als wir um eine Ecke bogen, sahen wir vor uns seinen Garten und einen Tisch voller Speisen. Alles Gemurmel verstummte. Es war sogar leise Musik zu vernehmen. Miss Quinn-Cardiffs Grammophon war wieder ausgeborgt worden, diesmal von den Arbeitern in einem anderen Abschnitt des Laderaums, und Emily machte sich daran, aus dem Stapel der Schallplatten verschiedene 78er auszusuchen. Wir erfuhren, dass einige der Platten von Mr. Mazappa für uns zurückgelassen worden waren. Einige Gäste gingen die vorgeschriebenen Wege entlang, vorbei an grünen Wedeln, während der Ayurveda-Mann in dem verschwörerischen Ton, in dem er immer sprach, erklärte, dass die Oxalsäure der Sternfrucht zum Polieren von Messinggegenständen

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