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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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entlassen. Sie hat mich im Hotel Homann aufgespürt. Zum Glück hatte ich Typhus, hatte mich vielleicht in dem Krankenhaus angesteckt, in dem meine Stichwunden behandelt worden waren, und zum Glück hatte sie krankhafte Angst vor dieser Krankheit, weil eine Wahrsagerin ihr prophezeiht hatte, sie würde an Typhus sterben, und deshalb verließ sie mich ein für allemal. Und so haben die Messerstiche neben meinem linken Herzen mich vor einem gemeinsamen Schicksal mit ihr gerettet. Ich habe sie nie wiedergesehen. Ich habe linkes Herz gesagt, weil die Männer zwei haben. Zwei Herzen. Zwei Nieren. Zwei Leben. Wir sind symmetrische Geschöpfe. Unsere Gefühle sind ausgeglichen …«
    Jahrelang habe ich das alles geglaubt.
    »Und als ich in dem Krankenhaus gegen den Typhus kämpfte, haben mir zwei Ärzte Bridge beigebracht. Und ich habe zu lesen angefangen. In meiner Jugend waren mir Bücher wesensfremd. Versteht ihr, was ich sagen will? Wenn ich dieses Buch, die Upanishaden , mit Zwanzig gelesen hätte, dann wäre es nicht bei mir angekommen . Damals war ich geistig zu umtriebig. Aber das Buch ist eine Meditationsübung. Heute hilft es mir. Ich glaube, heute könnte ich auch sie eher wertschätzen.«
     
    Als ich mich eines Nachmittags gelangweilt mit Flavia Prins unterhielt und am Schiff hinuntersah, erblickte ich Mr. Hastie, der auf einem hochgezogenen Anker saß und den Schiffsrumpf anstrich. Um ihn herum hockten andere Matrosen in Strickleitern, aber ich erkannte die kahle Stelle an seinem Hinterkopf, die ich immer sah, wenn ich bei den Kartenabenden aus meiner Koje hinunterspähte. Er hatte sein Hemd ausgezogen, und sein Oberkörper war sonnengebräunt. Ich zeigte ihn meiner Tante.
    »Es wird behauptet, dieser Mann wäre der beste Bridgespieler auf dem Schiff«, sagte ich. »Er hat überall auf der Welt Turniere gewonnen, sogar in Panama …«
    Sie hob den Blick von ihm zum Horizont. »Und was tut er dann da unten?«
    »Er hält die Ohren offen«, sagte ich. »Aber er spielt jede Nacht als Professioneller mit Mr. Babstock und Mr. Tolroy und Mr. Invernio, der jetzt die Hunde auf dem Schiff beaufsichtigt. Sie sind alle internationale Champions!«
    »Ich frage mich …« sagte sie und senkte den Blick auf ihre Fingernägel.
    Ich stahl mich davon und ging zu einem Deck weiter unten, wo Ramadhin und Casssius warteten. Wir sahen Mr. Hastie bei der Arbeit zu, bis er zufällig herübersah, und da winkten wir ihm zu. Er schob seine Arbeitsbrille in die Stirn, erkannte uns und winkte zurück. Ich hoffte, dass meine Aufsichtsdame dort geblieben war, wo ich sie verlassen hatte, und Zeugin dieses Augenblicks wurde. Wir gingen weiter, stolzen Schritts. Mr. Hastie würde nie erfahren, wieviel dieser Gruß uns bedeutete.

 
     
     
    OB ES AN IHREM wachsenden gesellschaftlichen Erfolg lag oder an meiner Falschaussage nach dem Sturm, jedenfalls zeigte Flavia Prins immer weniger Interesse daran, sich für mich verantwortlich zu fühlen. Inzwischen richtete sie es so ein, dass wir uns so kurz wie möglich an Deck sahen, wo sie ihre wenigen Fragen wie ein Bewährungshelfer abhakte.
    »Bist du mit deiner Kabine zufrieden?«
    Ich ließ eine lange Minute verstreichen. »Ja, Tante.«
    Sie winkte mich zu sich, offenbar neugierig.
    »Was machst du eigentlich den ganzen Tag?«
    Ich sagte nichts von meinen Besuchen im Maschinenraum und erwähnte nicht, wie gespannt wir zusahen, wie die Kleider des australischen Mädchens nass wurden, wenn es duschte.
    »Zum Glück«, erwiderte sie auf mein Schweigen, »habe ich fast während der ganzen Kanaldurchquerung schlafen können. So eine Hitze …«
    Sie spielte wieder an ihrem Schmuck herum, und auf einmal kam mir der Gedanke, dem Baron die Zimmernummer meiner Aufsichtsperson mitzuteilen.
     
    Aber der Baron hatte das Schiff bereits verlassen. Er war in Port Said von Bord gegangen, begleitet von Hector de Silvas Tochter. Ich hatte aufgeschnappt, dass er sie getröstet habe, und deshalb nahm ich an, dass er sie dazu überredet hatte, bei weiteren Gentleman-Verbrechen mitzumachen, und sie in der Abgeschiedenheit seiner Kabine mit Kuchen und gutem Tee bewirtet hatte. Er hatte einen flachen Koffer bei sich gehabt, der ebensogut wertvolle Unterlagen enthalten konnte wie das Porträt Miss de Silvas, das er in meiner Gegenwart an sich genommen hatte. Er nickte mir von der Gangway aus zum Abschied zu, und Cassius versetzte mir einen Stoß in die Rippen, denn ich hatte ihm von meiner Beteiligung an den

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