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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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in den Tempeln verwendet wurde. Emily wollte tanzen, nahm die schweigende Asuntha in die Arme und bewegte sich im Rhythmus der Musik in ihrem gelben Kleid einen engen Gang entlang, als wäre sie selbst ein Stern.
    Wenn ich an unsere Mahlzeiten auf der Oronsay zurückdenke, stellt sich als erstes Bild nie das des offiziellen Speisesaals ein, in dem man uns so weit weg wie möglich vom Kapitän an den ungünstigsten Tisch gesetzt hatte, sondern das jenes beleuchteten Rechtecks irgendwo tief unten im Schiff. Wir bekamen ein Getränk aus Tamarindensaft, wie ich vermute, mit einer Spur Alkohol. Unser Gastgeber rauchte eine seiner speziellen Zigaretten, und ich sah, wie Miss Lasqueti, die sich gebückt hatte, um eine Pflanze in Knöchelhöhe zu betrachten, den Kopf hob und schnüffelte.
    »Sie sind ein Mann mit vielen Facetten«, sagte sie leise und trat zu Mr. Daniels. »Mit manchen dieser harmlos aussehenden Blätter könnten Sie einen Diktator vergiften.« Später, als Mr. Daniels erklärte, dass Gewürzpfeffer eine antibakterielle Wirkung besitze und dass Papaya nach Operationen Blutgerinnsel zu verhindern helfe, legte sie ihm die Hand auf den Ärmel und sagte: »Oder man könnte Sie in Guy’s Hospital gut gebrauchen.« Mr. Gunesekera, der Schneider, der wie ein Gespenst zwischen uns einherschlich, nickte zustimmend, doch das tat er bei jeder Bemerkung, die er hörte, weil es ihm die Notwendigkeit ersparte, etwas zu sagen. Er sah zu, wie unser Gastgeber, der sich inzwischen mit dem Ayurveda-Mann unterhielt, auf das Madagaskar-Immergrün hinwies (gut bei Diabetes und Leukämie, wie er betonte) und dann ein paar indonesische Limetten pflückte, »eine Wunderfrucht«, wie er sie nannte, die er uns servieren wollte.
    Und wir nahmen an einem neuen Katzentisch Platz. Über uns schaukelten die Deckenlampen – offenbar wehte an jenem Abend ein leichter Wind im Laderaum, oder lag es am Seegang? Hinter uns zeichneten sich die dunklen Blätter von Fußfruchtbäumen und ein schwarzer Kalebassenbaum ab. Auf dem Tisch standen Wasserschalen, in denen Blüten schwammen, und mir gegenüber saß meine Cousine, die Unterarme ruhig auf dem Tisch, ihre Miene so aufmerksam in dem flackernden Licht. Zu ihrer einen Seite saß Mr. Nevil. Seine großen Hände, die früher Schiffe zerlegt hatten, ergriffen eine Schale und schüttelten sie behutsam, so dass die Blume unter dem schwankenden Lampenlicht im Wasser schaukelte. Wie immer fühlte er sich wohl in seinem Schweigen und störte sich nicht daran, dass niemand mit ihm sprach. Emily beugte sich zur anderen Seite und flüsterte dem tauben Mädchen etwas zu. Das Mädchen überlegte kurz und flüsterte dann Emily sein eigenes Geheimnis ins Ohr.
    Keiner von uns beeilte sich bei dieser Mahlzeit. Jeder sah umschattet, verlassen aus, bis er sich vorbeugte und vom Licht erfasst wurde. Jeder von uns bewegte sich träge, beinahe schlaftrunken. Das Grammophon wurde wieder in Gang gebracht, und die indonesischen Limetten wurden herumgereicht.
    »Auf Mr. Mazappa«, sagte Mr. Daniels leise.
    »Und auf Sunny Meadows«, antworteten wir.
    In dem Frachtraum hallten unsere Worte hohl wider, und eine Zeitlang saßen wir reglos da. Nur die Musik des Grammophons war zu hören, das langsame Murmeln des Saxophons. Feiner Nebel, durch eine Zeituhr ausgelöst, fiel etwa zehn Sekunden lang auf die Pflanzen und den Tisch und auf unsere Arme und Schultern. Niemand versuchte sich dagegen zu schützen. Die Platte endete, und wir hörten das wiederkehrende Kratzen der Nadel, die hochgehoben werden sollte. Die beiden Mädchen mir gegenüber flüsterten miteinander, und ich beobachtete sie und lauschte aufmerksam. Ich konzentrierte mich auf den geschminkten Mund meiner Cousine. Das eine oder andere Wort konnte ich ausmachen. Warum? Wann ist es soweit? Das Mädchen schüttelte den Kopf. Ich glaube, sie sagte: Du könntest uns helfen. Und Emily senkte den Blick und schwieg eine Zeitlang, in Gedanken versunken. Mitten über den Tisch verlief ein Trennstreifen aus Dunkelheit, und ich sah die Mädchen über diese Trennlinie hinweg. Gelächter erklang, doch ich schwieg. Mir fiel auf, dass auch Mr. Gunesekera starr vor sich hin blickte.
    »Er ist dein Vater?« flüsterte Emily überrascht.
    Das Mädchen nickte.

Asuntha
    SIE SPRACH MIT NIEMANDEM AUF DEM SCHIFF über das, was ihr Vater getan hatte. Genau wie sie als kleines Mädchen niemals verriet oder zugab, wo er war oder was er tat. Selbst als er zum erstenmal festgenommen und

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