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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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Mahlzeit, die aus einem Küchenfenster geworfen worden waren. Sie fand eine aufgeschnittene Jackfrucht und aß so viel von der blütenförmigen Frucht, bis ihr übel wurde, und danach hatte sie einen Fieberanfall. Sie kletterte zu einem Fluss hinunter, hielt sich an einem Ast fest und blieb im Wasser stehen, um die Fieberhitze loszuwerden. Sie war seit mehr als acht Tagen unterwegs, als sie vier Männer sah, die ein Trampolin die Straße entlang trugen. Sie wusste, wo sie war. Sie folgte ihnen in einiger Entfernung, bis die Männer sich schließlich umdrehten und sie fragten, wer sie sei. Sie sagte nichts. Sie hielt größeren Abstand, verlor die Männer aber nicht aus den Augen, selbst als sie über eine Wiese gingen und hinter einem Hügel voller Gebüsch verschwanden. So gelangte sie zu den Zelten. Sie fragte nach Pacipia, und ein dünner Mann brachte sie zu einer Frau. Diese Frau war die Schwester ihres Vaters.
     
    In gewisser Weise sah sie ihm ähnlich. Auch Pacipia bewegte sich wie ein Tier. Sie war sehr groß und wirkte härter als der Vater des Mädchens, wenn man sah, wie sie die Männer und Frauen um sich herum behandelte. Sie leitete einen kleinen ländlichen Zirkus, und sie sorgte mit strengen Regeln für Disziplin. Mit dem Mädchen war sie jedoch anders. Sie nahm Asuntha in die Arme und trug das Kind zu ein paar Dornenbäumen in einiger Entfernung von der Truppe. Sie fuhr dem Mädchen mit den Fingern durch die Haare, während sie zuhörte, wie die Tochter ihres Bruders ihr von der Begegnung mit dem Vater im Gefängnis erzählte, von dem Verschwinden der Mutter und von dem überwältigenden Hunger nach Fleisch. Pacipia hatte die Mutter ein paarmal gesehen, und sie nickte, sorgsam darauf bedacht, das Kind nicht erkennen zu lassen, was sie dachte. Und als sie den Eindruck hatte, dass alles in Ordnung sei, setzte sie das Mädchen ab.
    Sie zeigte Asuntha jedes einzelne Zelt. Die Zeltwände waren der Nachmittagshitze wegen aufgerollt, und das Mädchen sah die Akrobaten am hellichten Tag schlafen, in dem Wind, der von der Küste herein durch die offenen Zelte wehte. Sie war so lange allein unterwegs gewesen, aber in der neuen Umgebung schien sie sich nicht wohl zu fühlen. Doch Pacipia hielt Asuntha nicht für ein von Natur aus furchtsames Kind. War sie denn nicht das Kind ihres Vaters? Die ersten Tage wich das Mädchen Pacipia nicht von der Seite und störte sie bei der Arbeit. Für die nächsten Tage waren Vorstellungen in dem Dorf Beddegama angesetzt. Danach würde die Truppe weiterziehen. Jede Woche ein anderes Dorf in der südlichen Provinz. Sonst würden die Musiker sich von den Dorfmädchen verführen und die Truppe im Stich lassen. Die Musiker hatten nicht allzuviel zu tun, aber auf ihre Fanfaren konnte kein Zirkus verzichten.
    Damit das Mädchen nicht im Weg war, probte Pacipia vor Sonnenaufgang; jeder, der wach war, hörte das Federn des Trampolins und sah Pacipia im Halbdunkel durch die Luft wirbeln, auf dem Rücken oder auf den Knien aufkommen und sich abermals um die eigene Achse drehen, weit in die Dunkelheit hinein. Bei Sonnenaufgang ging sie schweißüberströmt zum Brunnen eines Bauern, wo sie den Eimer am Seil hinaufzog und sich immer wieder mit Wasser übergoss. Es war herrlich, sich an einem Brunnen zu waschen. In ihrem durchnässten Trikot, das an der Sone trocknete, ging sie zurück zu dem Zelt, in dem das Mädchen bald erwachen würde. Alle Unabhängigkeit Pacipias schien verschwunden zu sein. Sie war nie verheiratet gewesen, hatte keine Kinder, doch nun gab es dieses Mädchen, für das sie verantwortlich war, bis ihr Bruder wiederkommen würde.

 
     
     
    ES GIBT IMMER EINE GESCHICHTE , die einen erwartet. Noch kaum ausgeformt. Erst allmählich macht man sich mit ihr vertraut und gibt ihr Nahrung. Man entdeckt den Panzer, der den eigenen Charakter bergen und härten wird. Auf diese Weise findet man seinen Lebensweg. So kam es, dass man nach wenigen Wochen sehen konnte, wie das Mädchen Asuntha in die Luft sprang, von einem ausgestreckten Arm gehalten und dem Griff eines anderen Arms entgegengeworfen wurde, der gleichzeitig von einem anderen Baum aus vorschnellte. Sie hatte die starken und leichten Knochen ihres Vaters, und bei all ihrer anfänglichen Furcht war sie von unabhängiger Wesensart. Sie würde lernen müssen, sich davon zu verabschieden, um sich an Vertrauen zu gewöhnen. Pacipia würde ihr dabei helfen. Auch Pacipia war früher sehr unabhängig gewesen, eines jener Kinder,

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