Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kauft Leute

Kauft Leute

Titel: Kauft Leute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Korssdorff
Vom Netzwerk:
man helfen musste!
    Bei ihrem Telefonat eine Woche zuvor hatte Benno Caro geraten: »Rette dich selbst, der Rest ist verloren!« So einfach konnten sie es sich diesmal nicht machen. Das sah auch Benno ein. Aber er hatte nicht die geringste Lust, ein unnötiges Risiko einzugehen.
    »Wenn wir uns nicht sicher fühlen, rufen wir die Polizei!«, hatte Benno gesagt. »Wenn die geringste Gefahr besteht, ziehen wir uns zurück! Wir versuchen bloß, den Hof zu finden. Vielleicht spähen wir ihn ein bisschen aus. Aber wir werden kein Himmelfahrtskommando starten!« Caro hatte genickt, sich insgeheim aber gedacht: Wir werden nicht gehen, bevor wir wissen, was dort passiert ist! Nun, auf dem Weg zu ihrem Ziel, mit nachlassendem Alkoholspiegel, erschienen ihr Bennos Worte immer klüger und befolgenswerter. Das hier war kein Computerspiel, die Risiken waren real.
    Nach dem Gespräch mit Moffat hatte sich Caro geschämt, dass sie auf Boris’ Charme hereingefallen war, wie so viele Mädchen vor ihr. Dann aber dachte sie, sie war einfach an einen Profi geraten, es war nicht ihre Schuld, dass er ihr gefallen hatte. Dennoch nagte es an ihr, und sie fragte sich, was sie tun würde, falls sie ihm gegenüberstünde.
    Die ganze Zugfahrt über lasen Caro und Benno Zeitungsartikel auf ihren Handys. Die Phrase
shopwindowsuicide
brachte die Suchmaschinen zum Glühen, und so schnell konnten die diversen Videopostings der Handybenutzer gar nicht gelöscht werden, bevor nicht an anderer Stelle wieder neue auftauchten. Ein kampflustiger Politiker forderte die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Eine ehemalige Angestellte von HÜMANIA, die anonym bleiben wollte, sagte gegenüber einer Wochenzeitung, es sei nicht der erste Selbstmord gewesen. Ein Bruder der Toten tauchte auf und forderte, dass der Upload und die Verbreitung der scheußlichen Videos unter Strafe gestellt werden müssten.
    Und Caro stieß auf noch eine Geschichte, die mit HÜMANIA in Zusammenhang stand: Ebenfalls am Vortag hatten Polizisten eine junge Frau aus dem Keller einer Familie befreit, die dort gefesselt und geschlagen worden war. Der Ehemann machte seine Frau dafür verantwortlich, die irrational eifersüchtig war und geglaubt hatte, er würde sie mit der Nanny, die vor Jahren einen Gastauftritt in einer Fernsehserie gehabt hatte, betrügen. Mann und Frau wurden festgenommen.
    Caro glaubte, dass nicht mehr als ein Trümmerfeld übrig bleiben würde, wenn dieser Sturm einmal vorbeigezogen war. Die Bilder der toten Frau im Schaufenster brannten sich dem Zuseher ein. Man konnte keinen fröhlichen Schaufensterbummel mehr durch die Hallen von HÜMANIA machen, ohne dass diese Bilder in den Köpfen der Kunden auftauchten.
    Als sie in Pilsen aus dem Zug stiegen, sahen sie sich nach einem Taxi um. Sie klapperten einen Wagen nach dem anderen ab, bis sie einen Fahrer fanden, der ausreichend gut Deutsch sprach. Sie warnten ihn, dass es vielleicht nicht ganz leicht sein würde, die Adresse zu finden, und vereinbarten einen Pauschalpreis. Zuerst steuerten sie das Wirtshaus an, in dem der Münchner X getroffen hatte. Von dort aus folgten sie seinen Anweisungen. Ein paar Mal fuhren sie zu weit oder bogen zu früh ab und mussten umdrehen und es noch mal versuchen, aber irgendwann erreichten sie den Wald, und der Verlauf der Straße war genauso, wie der Mann es beschrieben hatte.
    Der Taxifahrer entdeckte das Autowrack. Es war ein völlig verrosteter Fiat Ducato, und immer noch hing das Transparent von Sparta Praha zwischen den Fenstern. Caro und Benno waren euphorisch, es stimmte alles, was der neue Besitzer des Commodore erzählt hatte. Das bedeutete aber auch, dass die Geschichten über X, die sie beide gehört hatten, vielleicht genauso wahr waren. Der Gedanke daran ließ ihre Euphorie schlagartig ersticken, und sie wich einem Gefühl von auf kleiner Flamme kochender Panik. Aber jetzt war es Benno, der aus dem Auto stieg und sagte: »Schauen wir uns das an!« Caro ließ sich von seinem Mut anstecken und folgte ihm. Sie sagten dem Fahrer, sie gingen jetzt zu Fuß weiter. Falls sie in dreißig Minuten nicht zurück waren, sollte er sie anrufen. Sie schrieb ihm ihre Handynummer auf und speicherte seine in ihrem Telefon. Wenn sie nicht antworteten, sollte er die Polizei rufen.
    Sie folgten dem Forstweg, der dunkler war, als sie angenommen hatten. Der Wald schluckte das wenige Licht, das dieser regnerische, sonnenlose Tag zu bieten hatte. Zuerst hörten sie nur die Geräusche des

Weitere Kostenlose Bücher