Kauft Leute
aufbrach. »Medizinisch war es ja nicht schlimm. Aber man hätte es ihr erklären müssen.«
»Was?«
»Sie sah ja so unhübsch aus, keiner wusste, was sich Boris dabei gedacht hat. Also machten wir eine Komplettkorrektur. Es war für uns auch spannend. Es blieb kein Stein auf dem anderen, verstehen Sie? Keine Ähnlichkeit mehr, null. Und dann wachte sie auf und nahm die Verbände ab und – na ja – eine Fremde. Es war schlimm, natürlich. Und dann noch so viele Stunden allein. Sie wusste ja nicht, wo sie war. Sie hat es nicht gut verkraftet. Irgendwie erfuhr Boris von der ganzen Geschichte. Und er hörte von X, der sich Feinde bei HÜMANIA gemacht hatte. Er konnte ihm helfen abzuhauen.«
Caro dachte an Mona allein in ihrem Krankenzimmer – vor einem Spiegel, aus dem eine andere sie ansah.
Moffat seufzte und hockte sich nieder.
»Aber wo sind sie jetzt, Boris und X?«, fragte Caro.
»Meinen Informationen nach ist X Geschichte!«, sagte Moffat und begann sein Hemd zuzuknöpfen. »Wir haben Kontakt zu einem Mitglied seiner Entourage. Diesem Mann nach ist X’ allerletzte Adresse ein Loch im Boden in irgendeinem Wald in Polen oder Tschechien. Die Trüffelsaison beginnt bald, vielleicht stolpert wer über ihn. Aber interessieren wird es dann keinen mehr. X war die Schattenseite all unserer Bemühungen, es ist gut, dass er weg ist.«
»Und Boris? Wo ist er, wenn es X nicht mehr gibt?«
»Sie können mir glauben: Ich würde mich viel wohler fühlen, wenn ich das wüsste! Ich hätte …«
Doktor Moffat brach ab und sah hinüber zum Weg zwischen Schloss und Parkplatz und runzelte die Stirn.
»Warum rennt denn der so … Haut der ab?«
Caro folgte seinem Blick.
Ein junger Mann im Anzug lief den Weg vom Schloss zum Parkplatz hinunter. Moffat trabte los, ebenfalls in Richtung Parkplatz.
Christian hatte alles gesehen. Wie der Journalist die Karte auf den Tisch gelegt hatte. Wie das blonde Mädchen aus dem Speisesaal ihren Vater umarmte und auf dem Fleck auf und ab sprang. Da hatte er begriffen, dass alles verloren war. Er stand auf und streckte sich. Dann begann er, von zwanzig abwärts zu zählen. Als er bei 3 angekommen war, trat das Glück für ihn ins Schloss. Es war Gerald, der einen Tablet-Computer bei sich trug. Er zeigte den Anwesenden eine Internetseite. Christian glaubte, das Blau der Onlineseite des österreichischen Rundfunks zu erkennen. Irgendetwas Großes musste passiert sein.
Christian nutzte die Chance. Er drehte auf den Hacken um, sprang durch die Tür in den Park hinaus und lief um den Mitteltrakt des Schlosses herum. Als er die Arkaden erreicht hatte, wechselte er auf die andere Seite des Schlossparks und rannte den Hauptweg entlang.
Als er am Parkplatz angekommen war, sah er, dass nur zwei Leute bei ihren Fahrzeugen standen. Ein älterer Herr, der eben in seinen Mercedes stieg. Und ein bärtiger Mann, der gerade die Fahrertür eines roten Sportcoupés öffnete. Verrückt, dachte Christian, dieser Wagen sah aus wie der des Kommodore, wie er ihn auf Fotos gesehen hatte, als sie Boris’ Flucht besprachen. Ohne weiter zu überlegen, rannte er auf den Mann zu und verpasste ihm einen gezielten harten Schlag in den Solarplexus. Der bärtige Kerl brach stöhnend in sich zusammen. Christian flüsterte »’tschuldigung«, zog den Schlüssel von der Tür ab, warf sich in den Wagen und startete. Als er vom Parkplatz fuhr, sah er noch das dunkelhaarige Mädchen, das immer mit Danesita zusammensteckte, und das Aas Dr. Moffat, die auf ihn zurannten. Bald aber verschwanden sie in seinem Rückspiegel in einer Wolke aus Abgasen.
21
U M NEUN U HR MORGENS AM NÄCHSTEN T AG fuhr ein Zug von München Hauptbahnhof in Richtung Tschechische Republik ab. Eine seiner Haltestellen war die böhmische Stadt Pilsen. Unter den Passagieren befand sich Caro – in Begleitung von Benno Neureither, dem jungen Mann aus der Münchner Krisenstelle von HÜMANIA, den sie am Abend kennengelernt hatte. Nachdem sie mit Moffat gesprochen hatte und Christian mit dem Wagen des Kommodore abgehauen war, hatte Caro diesem Benno ihr Herz ausgeschüttet. Und nun begleitete er sie auf die Mission zu einem Hof im Nirgendwo, den sie wahrscheinlich gar nicht finden würden, und falls doch, träfen sie möglicherweise gar niemanden dort an. Aber trotzdem musste sie hin. Sie war die Einzige, die wusste, wo X’ Unterschlupf war. Und auch wenn er selbst schon Geschichte war, wie Moffat gesagt hatte – vielleicht waren dort noch Menschen, denen
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