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Kauft Leute

Kauft Leute

Titel: Kauft Leute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Korssdorff
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nur ein paar Meter weiter weg stand, »der natürlich ein Genie war, wie diese Stadt kein zweites hatte, der ist auch verzweifelt an den Menschen. Im Krieg und auch danach hatten ihn die Leute abgeschrieben. Die waren innerlich schon auf das
Schwarzwaldmädel
und den
Silberwaldförster
eingestellt, seine spitze Zunge, die hat ihnen zu wehgetan! Gestorben ist er an einer Lungenentzündung, die er sich geholt hat, als man ihn nach einer Aufführung unabsichtlich in einem Theater eingesperrt hat und er dort in der Kälte die Nacht verbringen musste. Seit Jahren schon schreib ich an einem Stück darüber, aber seine Erben sind nicht grad kooperativ in der Hinsicht …«
    Christian betrachtete Michi mit wachsendem Interesse. Vor einer Woche war er am Rücksitz des BMWs von Wien nach München gebracht worden und schön langsam fand er heraus, mit was für Menschen er es hier zu tun hatte. Der Eindruck, den Michi zuerst auf ihn gemacht hatte, schwand immer mehr. Zum Beispiel schien er gar nicht schwul zu sein.
    »Es ist so«, hatte er Christian erst am Vortag erklärt, »ich hatte immer was mit Frauen und dabei werde ich auch bleiben. Man fängt mit fast fünfzig nicht mehr mit dem Snowboardfahren an, wenn man so an die Schi gewöhnt ist. Was macht man da auch für eine Figur? Aber ich hab mir das andere immer auch vorstellen können. Es liegt daran, dass ich ein ästhetischer Mensch bin, ich meine, vom
Sehnen
her, nicht vom
Sein
her. Ich fühl mich zur Schönheit sehr stark hingezogen. Weil ich aber so eine
Humpty-Dumpty
-Figur bin, konnte ich nicht die Frauen kriegen, die mich wirklich angezogen haben. Ich habe nie begriffen, warum unattraktive Menschen sich so bereitwillig in gleichermaßen unschöne Exemplare verlieben. Ich wollte immer nur die Schönsten! Da ich aber auch die üblichen profanen Bedürfnisse habe, schloss ich beim Weibe eben Kompromisse, beim Manne aber nie! Dort habe ich meine Ideale nicht verraten und so gebe ich mich immer wieder der einen oder anderen Schwärmerei hin.«
    »Aber warum das tuntige Gehabe vor all den Leuten?«, hatte Christian dann gefragt.
    »Weil ich mich wohler fühle, wenn ich eine Rolle spiele, solange ich mir nicht selbst gehöre«, hatte Michi geantwortet. »Bist du ganz du selbst, wenn dich jemand anderer besitzt, gehörst du ihm auch ganz. Bist du jemand anderer, bleibst du selbst dein Eigentum. Das ist jedenfalls eine Vorstellung, die mich etwas tröstet.«
    Christian wusste nicht, wem Michi eigentlich
gehörte
, Corinna oder Sandra, oder beiden, und er kannte auch nicht die Umstände, wie er zu ihnen gekommen war. Michi redete gerne über sich selbst, und wenn er
darüber
noch nicht gesprochen hatte, dann einfach deswegen, weil er es nicht wollte. Was Christian hingegen wusste, war, dass Michi Fernsehregisseur war. Derzeit schien sich seine Tätigkeit aber darauf zu beschränken, Sandras Video-Blog zu filmen, in dem sie neue Kosmetikprodukte testete. Ihr Videochannel entwickelte sich zu einem kleinen Internetphänomen, und Sandra wurde von Kosmetikherstellern belagert, ihre Produkte vorzustellen. Christian war auch schon eine Aufgabe zugedacht worden – er sollte als Sandras Assistent neue Männerprodukte testen. Wenn Christian drohte, er ginge eher in die Isar, war das sein Ernst, auch wenn sich alle amüsierten, wie zimperlich er war.
    Michi schlug vor: »Ein Stamperl?«
    Christian verzog das Gesicht, aber sein Mitbewohner klopfte ihm bloß anteilnehmend auf die Schulter und zog los, um zu bestellen.
    Als er mit den Klaren zurück war, schmetterte er: »
Liawa an Weinbrand ois an Rembrandt
«, dann klirrten die Gläser und Hochprozentiger schmierte ihre Kehlen. »Jetzt«, sagte Michi, »fühle ich mich bereit, mir deine Lebensgeschichte anzuhören. Allerdings mit einer Einschränkung: Nach München zu kommen und mich kennenzulernen ist mit Sicherheit das Beste, was dir je passiert ist, also erzähl die Gschicht nicht, als liefe alles auf ein böses Ende hinaus, gut?«
    Christian schüttelte den Kopf und wehrte ab: »Ich will dir das gar nicht umhängen. Ich hab versucht, Sandra meine Story zu erzählen, das hat auch nicht geklappt.«
    Michi nickte wissend: »Ja, sie hat ADS. Ich hab es noch nie geschafft, ihr einen Limerick zu erzählen, bei dem sie bei der letzten Zeile noch geistig da war.«
    »Und überhaupt«, jammerte Christian, »es ist eine lange Geschichte und …«
    Michi rüttelte Christian: »Nur den Teil, wie du Corinnas
Monchhichi
geworden bist!«
    Christian

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