Kautschuk
Fortuyn war Professor Bauer in Aachen, während der alte Kämpe Professor Janzen in Berlin die andere Synthese nach dem neuen Moran-Verfahren vertrat. Nicht allein, daß er dabei verharrte, das Fortuynsche Verfahren sei noch nicht einmal theoretisch fundiert, eröffnete er dem Moranschen Verfahren die glänzendsten Aussichten. Er legte sich zwar nicht darauf fest, daß das Moransche Produkt jedem anderen Kautschuk überlegen sein würde, hielt dies aber bei weiterem Ausbau und der zu erwartenden Vervollkommnung für durchaus möglich.
Allmählich griff der Gelehrtenstreit auch auf das Ausland über; denn die Frage war ja wirtschaftlich von ungeheurer Bedeutung. Nicht nur Schwankungen der Kautschukbörse wurden teilweise mit den Entdeckungen Morans in Zusammenhang gebracht, sondern auch die Rückwirkungen auf die langerwartete Verwendungsmöglichkeit des A-Stromes unter der Voraussetzung sicherer Isolation. Janzen hatte in Wien öfters Besprechungen mit ihm. Auch jetzt war er wieder dort und hatte, im Kaffeehaus, eine lange Unterredung hinter sich.
»Gewiß«, meinte Janzen, »diese Mitteilungen werden mir bei der Verteidigung Ihres Verfahrens sehr nützlich sein. Aber mir fehlen leider die Unterlagen, um Bauers Beweisführung für die Vorzüge der Fortuynschen Methode genügend zu entkräften.«
Moran überlegte eine Weile und sagte dann lachend: »Nun ja, von Fortuyn selber können Sie natürlich keine Informationen erwarten! Aber vielleicht haben Sie Freunde, die Ihnen Material zur Verfügung stellen? Selbstverständlich in diskreten Grenzen?«
»Freunde, Herr Doktor? Mehr, als Sie denken! Da fällt mir gleich einer ein, der mir sicher gern behilflich ist: Direktor Düsterloh. An den werde ich schreiben. Er kommt nächste Woche sowieso nach Berlin zu einer Tagung der Chemisch-Technischen Gesellschaft. Dann kann er mir das Geeignete gleich mitbringen.«
»Nun, verehrtester Professor, dann darf man wohl schon im voraus gratulieren!«
Hochbefriedigt stieg Janzen in seinen Berliner Zug. —
Am Nachbartisch im Café war schon seit Stunden ein lebhaftes Kartenspiel im Gange. Bald, nachdem Moran und Janzen gegangen waren, sagte einer der Teilnehmer, trotz des Widerspruchs der anderen, das letzte Spiel an.
Das war beendet, ausgerechnet und bezahlt. Der es so eilig hatte, stand auf, verabschiedete sich. »Ich muß heim. Keine Zeit mehr!«
Auf der Straße schlug er den Weg zum nächsten Postamt ein und schrieb dort ein Telegramm: »Morris Boffin, Berlin, Kurfürstendamm 77. – Direktor Düsterloh ankommt nächste Wo
che; bringt gewünschtes Material an Professor Janzen.«
Düsterloh trat aus seinem Büro, auch ein Telegramm in der Hand. Wittebold, der ihm zufällig in den Weg lief, erhielt den Auftrag, es sofort zum Postamt im Werk zu bringen. Düsterloh schlug den Weg zum Archiv ein.
Ehe man von Langenau aus mit Moran in Verbindung trat, hatte man von Fortuyn ein Exposé über seine Arbeiten eingefordert. War es Überlegung, war es ein instinktives Gefühl: Fortuyn hatte das Exposé natürlich gegeben, es jedoch peinlich vermieden, mit Zahlen und positiven Angaben über das unbedingt Notwendige hinauszugehen. Ein Exemplar dieses Exposés wollte Düsterloh für seinen Freund Janzen mitnehmen. Er konnte sich zwar einiger Bedenken nicht erwehren. Aber er durfte zu dem Professor das unbedingte Vertrauen haben, daß der keinen Mißbrauch damit trieb; außerdem hatte er mit Janzen verabredet, daß er ihm das Material persönlich bringen und es am nächsten Tage wieder abholen würde.
Am Hause Kurfürstendamm 77 in Berlin prangte ein Schildchen: »Morris Boffin, Universal Provider, II. Etage.«
In der Tat: es gab nichts, dessen An- und Verkauf Mister Boffin zu vermitteln nicht bereit war. In einem wechselvollen Leben hatte er alle Branchen des Kaufmanns durchgemacht und sich diejenige Universalität erworben, mit der er da auf seinem Schild prangte. Das kleine, quecksilbrige Männchen war ein Katalog für alle Waren der Welt, und sein Geschäft mußte nicht schlecht gehen. Wohl ein Dutzend Angestellter arbeitete in den Büroräumen des Hintergebäudes.
Wer nicht unmittelbar mit ihm zu tun hatte, hätte niemals hinter seinem unscheinbaren Äußeren den gerissenen Geschäftsmann vermutet, der in ihm steckte. Wenn er trotz aller Geschicklichkeit in seinem Leben wohl schon hundertmal Fiasko gemacht hatte, so hatte das nicht an ihm gelegen, sondern daran, daß die Gesetze seiner Geschäftstüchtigkeit immer wie
der
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