Kautschuk
Schranken setzten. Jetzt war seine Position fester. Eine mächtige Hand zügelte etwaige allzu bewegte Eskapaden.
In einem wohlausgestatteten Arbeitszimmer des Vorderhauses stand Boffin am Hörer. Der Ausdruck seiner Züge wechselte kaleidoskopartig. Seine Sekretärin, Fräulein Collins, brach schließlich in ein helles Gelächter aus, das keinen übermäßigen Respekt vor dem Chef verriet. Und allerdings: dies Gesicht, der kleine Kopf mit der dicken Nase, dem schwarzen Schopf, den großen Ohren und dem goldenen Kneifer, der nie festsaß, boten einen so komischen Anblick, daß es schwer war, ernst zu bleiben.
Da legte er den Hörer hin. »Das hat gerade noch gefehlt!« Ein Schwall englischer Flüche, die Boffin aus langjähriger Gewohnheit den deutschen vorzog, prasselte auf Fräulein Collins’ Haupt hernieder.
Die sah ihn, freundlich fragend, an. Als die Flut abgeebbt war, sagte sie lächelnd: »Das war wieder mal sehr schön! Aber nun los! Was gibt’s denn eigentlich?«
»Was es gibt? Dieser Lorrison muß ausgerechnet gestern abend mit seinem Auto in Hamburg einen Alleebaum rammen. Kann nicht kommen! Gesicht total zerschunden. Was weiß ich, was ihm sonst noch passiert ist ...«
»Schade!« unterbrach ihn Fräulein Collins in bedauerndem Ton. »Lorrison war ein so hübscher Mensch – hatte ein interessantes Gesicht. Ich würde es sehr bedauern, wenn seine Schönheit Schaden gelitten hätte.«
Boffin warf ihr einen wütenden Blick zu. »Mag seine Fratze für immer zum Teufel sein! Woher aber krieg’ ich Ersatz? Einen Mann wie ihn: gut bekannt mit diesem Direktor Düsterloh, gewandt, nett und liebenswürdig ...« Er flatterte wie ein angefahrenes Huhn aufgeregt durchs Zimmer. »Ich muß einen finden!« Er schlug sich mit den Fäusten vor den Kopf. »Muß!«
»Kann ich heute nachmittag einen kleinen Ausflug machen, Herr Boffin?« kam es mit gemachter Gleichgültigkeit von Fräulein Collins’ Lippen.
Mit einem Ruck war Boffin stehengeblieben. Er wußte aus langjähriger Erfahrung, daß hinter solchen plötzlichen Urlaubsbitten etwas Besonderes steckte. »Ja, ja! Laufen Sie, wohin Sie wollen! Aber erst ‘raus mit der Sprache! Sie wissen was! Ich kenne doch Ihre Tricks.«
»Gut, Herr Boffin! Ich werde also um zwölf das Büro verlassen –«
»Collins! Mädel! Sie sollen sagen, was Sie wissen!«
»Im Frühjahr, Herr Boffin, war unser Herr Bosfeld aus Hannover hier. Ich habe mit ihm soupiert. Er erzählte mir viel Nettes. Bosfeld ist Junggeselle und auch Jäger. Schade, daß Sie kein Jäger sind, Herr Boffin! Denn Bosfeld sagte, auf dem Umweg über die Jagd könne man Bekanntschaften machen, die sonst sehr schwer zu deichseln wären.«
Ein Tintenlöscher aus Boffins Hand flog dicht an Fräulein Collins vorbei. Sie erwies dem Wurfgeschoß eine graziöse Reverenz und sprach weiter: »Bosfeld hat es verstanden, auf solche Art mit Herrn Düsterloh bekannt zu werden; denn der ist ein großer Nimrod vor dem Herrn. Von der Jagd selbst hat er mir natürlich weniger erzählt. Viel mehr von den Jagdessen, die sich daran anschließen. Und das war sehr interessant. Da waren auch Damen dabei und ...« Fräulein Collins blickte, wie in Erinnerung versunken, nachdenklich vor sich hin.
Boffin war längst an den Apparat geeilt und meldete ein dringendes Gespräch nach Hannover an ...
Am nächsten Abend dann saß er mit Herrn Bosfeld in einem eleganten Restaurant des Kurfürstendamms.
»Ich kann Ihnen versichern, Herr Bosfeld – ich weiß, Sie sind ein Frauenverehrer –: es wird Ihnen nicht leid tun, die betreffende Dame kennenzulernen. An ihrer Seite werden Sie in den feinsten Lokalen Berlins Furore machen.«
»Nun mal langsam, lieber Boffin! Nicht übertreiben! Auf jeden Fall bin ich neugierig, diese Göttin zu sehen. Wie war ihr Name?«
»Sie heißt – hm – Frau Alice Johnson – beziehungsweise: unter diesem Namen werden Sie sie Düsterloh vorstellen. Sie ist Witwe eines englischen Majors.«
»Wie alt ist sie?«
»So ... gegen 30 etwa.«
»Nun, das läßt sich hören. Da könnte man sich ja amüsieren.«
»Um Gottes willen! Amüsement Ihrerseits?! Gänzlich ausgeschlossen! Tabu! Vollkommen tabu!« Boffin bekreuzigte sich fast. »Ich verlange von Ihnen unbedingt das Benehmen eines Kavaliers.« In Boffins Ohren klangen die Worte Hopkins’: ›Ich ersuche, Frau Juliette Hartlaub mit größter Delikatesse zu begegnen, und werde jeden Verstoß unnachsichtlich ahnden.‹
In diesem Augenblick ging die Tür.
Weitere Kostenlose Bücher