Kautschuk
Eine junge Dame in elegantem Abendkleid, einen schwarzen Pelzmantel um die Schulter, trat ein, sah sich suchend um.
Schon war Boffin ihr entgegengeeilt. »Ah, gnädige Frau!« Er küßte ihr die Hand, nahm ihr den Pelz ab, begleitete sie, unaufhörlich dienernd, zu seinem Tisch.
Es wurde ein vergnügter Abend. Alice Johnsons Fröhlichkeit steckte bisweilen die ganze Nachbarschaft an. Und Bosfeld ließ alle Register seines Humors spielen. Eine Schnurre folgte der anderen. Boffin prustete vor Lachen. Tränen rollten über seine ausgedörrten Backen; seine dicke Nase wackelte mit den Ohren um die Wette. Der bedauernswerte Kneifer wurde nur aufgesetzt, um sofort wieder herunterzufallen.
Als Juliette dann in ihrem Hotel angekommen war, legte sie sich befriedigt in die Kissen. Ihre Bedenken vor dem nächsten Abend, an dem ihr Debüt stattfinden sollte, waren geschwunden.
Schon ein paarmal war ein elegantes Paar vor einer Zehlendorfer Villa vorbeigegangen.
»Ah – er bleibt lange!« sagte die Dame ungeduldig zu ihrem Begleiter.
»Oh – warum so eilig, Gnädigste? Lampenfieber? Hm! – Kenne das. Hab’ es selber heute noch manchmal vor großen Aktionen. Passiert übrigens den berühmtesten Schauspielern.«
»Halten Sie uns für Schauspieler, Herr Bosfeld?«
»Selbstverständlich, Gnädigste! Wir sind Schauspieler in Vollendung. Wir spielen Wirklichkeit. Alles, was die andern sich da oben auf der Bühne in mühsamem Rollenstudium anlernen, muß uns angeboren sein. Heute sind wir Lord, morgen Diener – heute Marktfrau, morgen Gräfin. Das alles so naturgetreu, daß selbst der spitzfindigste Detektiv uns ahnungslos vorbeigehen läßt.«
»Sie scheinen an Ihrem gefährlichen Beruf Gefallen zu finden?«
»Allerdings! Mich reizt dieses nervenkitzelnde Spiel immer wieder. Am verlockendsten ist es, Spion zu sein ...«
»Ah! Sie waren es?« Sie sah ihn bewundernd von der Seite an.
»Viele Jahre lang für England in der Türkei.«
»Erzählen Sie doch!«
»Verzeihung! Später! Da kommt er!« Bosfeld hob winkend die Hand. »Famos! Wie nett, daß ich Sie hier begrüßen kann, Herr Direktor!« rief er dem Herrn, der eben, eine Aktentasche unterm Arm, aus der Villa trat, schon von weitem zu.
Der schüttelte ihm, mit einem Seitenblick auf die Begleiterin, erfreut die Hand.
»Ausgezeichnet! Was machen Sie in Berlin, Herr Bosfeld?«
»Geschäfte! Nichts als Geschäfte!« Bosfeld stand einen Augenblick überlegend. »Gestatten Sie, verehrte Frau Johnson, daß ich Ihnen Herrn Direktor Düsterloh vorstelle?«
Die Dame in der Mitte, schritten sie plaudernd weiter. Düsterlohs Blicke streiften bewundernd die schöne Engländerin. »Was haben die Herrschaften heut abend vor?« erkundigte er sich. Man merkte, er wäre gern dabeigewesen.
»Eigentlich nichts, Herr Direktor. Wollen nur zusammen zu Abend essen. Dann geh’ ich in mein Hotel. Vielleicht, daß Herr Bosfeld ...« Mit einigem Herzklopfen hatte Juliette diese ersten Worte ihrer Rolle gesprochen.
Hier fiel ihr Partner helfend ein: »Wüßten Sie uns einen Vorschlag zu machen, Herr Düsterloh? Ich war lange nicht hier. Wo ißt man jetzt am besten?«
»Ich würde das Restaurant Lahti empfehlen.«
»Angenommen! Und was unternehmen Sie heut abend?« »Nichts, lieber Bosfeld! Ich fahre morgen früh wieder zurück. Habe den Abend noch frei.«
»Vielleicht leisten Sie uns Gesellschaft? Es würde uns sehr freuen. Ich glaube doch, mit Ihrer Zustimmung zu sprechen, gnädige Frau?«
»Aber selbstverständlich, Herr Bosfeld. Wenn Herr Direktor Lust hat ...«
»Wäre mir eine Ehre, Gnädigste! Nur gestatten Sie, bitte, daß ich schnell noch mal mein Hotel aufsuche, um mich umzukleiden.«
Juliette tauschte einen raschen Blick mit Bosfeld. Der zog die Uhr. »Dürfte es nicht ein wenig spät werden, gnädige Frau?« »Wie meinen Sie, Herr Bosfeld?« fragte Düsterloh.
»Verzeihung, lieber Herr Direktor: gnädige Frau hat nämlich Hunger ...«
»Bitte tausendmal um Entschuldigung! Natürlich bin ich unter diesen Umständen sofort bereit, die Herrschaften zu begleiten. Muß nur wegen meines unvorschriftsmäßigen Anzugs um Rücksicht bitten.«
»Hat doch nichts zu sagen! Wir nehmen ja nur ein einfaches Souper. Kommen Sie in unserem Wagen mit?«
Das Souper war längst genommen. Ein paar leere Silberhalsige standen am Boden, die im Verein mit Bosfelds sprühendem Humor die Stimmung hoch gesteigert hatten. Dazu das lustige Lachen der Frau Johnson ... Düsterloh war selig. Auf
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