Kautschuk
trat er wieder heraus und schlug dann eine Seitenstraße ein, die zu den Anlagen führte. Auf einer Bank an einer Wegkreuzung wartete ein Mann, der Kleidung nach ein einfacher Arbeiter, mit dem Bernhard sich nun längere Zeit unterhielt.
Wittebold pirschte sich vorsichtig näher heran, konnte jedoch nur wenige Worte des Gesprächs – »Katalysatorwechsel in zehn Tagen« – erhaschen; denn hier hatte der Mann wohl des schwierigen Ausdrucks wegen die Stimme etwas gehoben. Nachher ging Bernhard zur Hauptstraße zurück, während der andere sich nach einer Werkkolonie wandte. Obgleich Wittebold rüstig ausschritt, holte er ihn erst ein, als der die ersten Häuser erreicht hatte.
Hier trat eine Frau auf den Arbeiter zu und redete dringend auf ihn ein. Und wieder hörte Wittebold das Wort ›Katalysator‹ aus dem Munde des Mannes. Die Frau dagegen sprach von den vielen Anschaffungen, die sie zu machen hätten: »Unbedingt Geld nötig – was schadet’s denn, von dem Faß ‘ne Handvoll wegzunehmen – davon geht das Werk nicht pleite – und uns wäre geholfen ...«
Die beiden verschwanden in einem Hause, in dem anscheinend ihre Wohnung lag. Von da aus schlug Wittebold den geradesten Weg zum Werk ein, um festzustellen, durch welches Tor der Arbeiter voraussichtlich morgen gehen würde. Da wollte er ihn bei Schichtbeginn erwarten, um zu ermitteln, in welcher Abteilung er beschäftigt war und wie er hieße ... und sonst noch einiges.
Nachher saß Wittebold noch eine Weile vor seiner heuen Tischlampe und betrachtete befriedigt zwei Blätter Zigarettenpapier. Das mit Nummer eins versehene war das, das er gestern auf die Rückseite der Vorschrift Ap 602 gedrückt hatte. Das andere hatte er eben gerade von einem der beiden Schnapsgläser abgezogen, aus dem Bernhard getrunken hatte.
»Für alle Fälle will ich die Dinger verewigen. Der Deubel könnte wollen, daß ein Windhauch sie über alle Berge jagt!« Er stellte einen Lexikonband auf den Tisch, heftete die Papierchen nebeneinander auf und placierte eine Kamera davor. Nach einiger Zeit packte er die Seidenblättchen wieder behutsam in den Zigarettenkarton zurück und ging zu Bett. »Zehn Tage sind eine lange Zeit«, murmelte er vorm Einschlafen. »Bis dahin wird sich noch manches klären!« —
Anderntags saß Wittebold nach Beendigung seines Dienstes, wie schon an den vorhergehenden Tagen, auf dem Beobachtungsposten in seiner Wohnung. Mit Hilfe eines Fernrohrs konnte er das Haupttor des Werkes beobachten. Ihn interessierte dabei besonders das Personal der Packerei, die eine Stunde später schloß. Er mußte scharf aufmerken, jedes Gesicht genau ins Auge fassen. Je weiter der Strom der Massen verebbte, desto erregter wurde er. Der Gesuchte war sonst immer unter den ersten gewesen. Endlich warf der Portier das große Tor zu, so daß nur noch eine kleine Pforte für Passanten offen blieb.
Im Nu war Wittebold unten, eilte zum Fabriktor, trat an den Kasten, in dem die Arbeiter die Kontrollmarken beim Weggehen aufhängten. »Alles in Ordnung!« raunte er vor sich hin.
Der nächste Morgen fand ihn beim Schichtbeginn wiederum in der Nähe des Kontrollkastens, die Augen auf eine bestimmte Stelle gerichtet. »Aha!« Er folgte einem Arbeiter, der eben das Kontrollbrett passiert hatte. Der ging in die Packerei und hängte, wie Wittebold feststellen konnte, zwei Marken an das dortige Kontrollbrett.
Jetzt wird’s gewagt! ging’s ihm durch den Kopf; Schappmann muß mich eine halbe Stunde vertreten! Und nach einer kurzen Rücksprache mit seinem Vorgänger begab er sich ins Botenzimmer, schrieb einen ziemlich langen Brief, adressierte ihn mit breiten Buchstaben: »Herrn Generaldirektor Kampendonk«, versah ihn mit dem Vermerk »Sofort – eilt sehr!« und trug ihn zu einem Werkbriefkasten, der weit von seiner Abteilung entfernt lag. —
»Herr Generaldirektor!« Kampendonks Privatsekretärin trat neben dessen Schreibtisch, öffnete die Mappe.
»Was Eiliges?« fragte Kampendonk und richtete seine hohe Gestalt auf. Der weiße Patriarchenkopf wandte sich voll der Sekretärin zu.
»Allerdings, Herr Generaldirektor – wenn es nicht eine Mystifikation oder ein Verleumdungsakt ist.«
»Nun, geben Sie mal her!« Und Kampendonk las den überreichten Brief. »Hm! Das wäre allerdings eine Entdeckung ... Herr Doktor Wolff soll zu mir kommen!«
Ein paar Minuten später betrat Christian Wolff – der Polizeipräsident des Werkes, wie er im Scherz genannt wurde – das Zimmer. Der
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